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Epilog: Der Prozess

Bildquelle: Tino Schneegass

Epilog: Der Prozess

Bildquelle: Tino Schneegass
Es verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die Medien: „Haftstrafe nach Messerangriff in Chemnitz” (Tagesschau) oder „Neuneinhalb Jahre Haft für Alaa S. im Chemnitz-Prozess” (Focus Online) schreiben sie. Das Gericht hat entschieden. Das Urteil bleibt dennoch umstritten. 

Denn schon zu Beginn zeichnete sich die Komplexität des bevorstehenden Prozesses ab. Seine Indikatoren: Die Flüchtlingsdebatte, eine bevorstehende Landtagswahl und die Instrumentalisierung durch rechte Gruppierungen. Alaa Sheikhi wurde nach dem Tod von Daniel Hillig festgenommen und ist einer der beiden Angeklagten im Prozess. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn des gemeinschaftlichen Totschlags an Daniel Hillig, versuchten gemeinschaftlichen Totschlags an Dimitri M. und gefährlicher Körperverletzung. Sein Begleiter Yousif Abdullah wurde aufgrund mangelnder Beweise vor dem Prozess freigesprochen. Nach dem zweiten Angeklagten, dem Iraker Farhad Ahmad, wird noch immer weltweit gefahndet. Bei Alaa Sheikhi ist die Beweislage bis zum Urteil schwach: DNA Spuren konnten laut übereinstimmenden Medienberichten weder am Tatmesser noch am Opfer selbst festgestellt werden. Die  100 zusätzlich befragten Zeugen ändern die Beweislage nicht. Im Wesentlichen glaubt das Gericht genau einer Person: Dem Hauptzeugen Younis al-N. Er arbeitete in der Tatnacht im Kebapimbiss Alanya und hat den Totschlag aus etwa 50 Metern Entfernung beobachtet. Seine Aussage änderte er mehrfach im Prozess, Grund dafür sollen laut mehreren Medienberichten Drohungen aus Kreisen von Alaa Sheikhi gewesen sein. Demnach wurde ihm unter anderem ausgerichtet, er würde in einem Sarg in sein Heimatland Libanon zurückkehren, wenn er die Aussage gegen Alaa Sheikhi nicht zurückziehe. In seiner ersten Aussage habe er stechende Schwingbewegungen gesehen. Später dementiert er dies und spricht von schlagenden Bewegungen. Ob Younis al-N. überhaupt etwas sehen konnte, überprüfte die Staatsanwaltschaft in der Nacht zum Donnerstag, den 13. Juni 2019, bei einer Tatortbegehung in der Brückenstraße in Chemnitz. An diesem Tag kehrte auch Alaa Sheikhi erstmals an den Tatort zurück. „Diese Stelle hat mein Leben verändert. Jetzt stehe ich dort und meine Hände und meine Füße sind gefesselt”, erzählt der Verurteilte in einem ZDF-Interview, das erst zwei Tage vor dem Urteil veröffentlicht wurde. Das war das Einzige, was Alaa Sheikhi zu seinem Prozess sagte – denn in allen Verhandlungen schwieg er. Nun wurde er in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen – nicht nachvollziehbar für seine Anwältin Ricarda Lang.

Bildquelle: Internet | www.internet.de | CC BY

Es verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die Medien: „Haftstrafe nach Messerangriff in Chemnitz” (Tagesschau) oder „Neuneinhalb Jahre Haft für Alaa S. im Chemnitz-Prozess” (Focus Online) schreiben sie. Das Gericht hat entschieden. Das Urteil bleibt dennoch umstritten. 

Denn schon zu Beginn zeichnete sich die Komplexität des bevorstehenden Prozesses ab. Seine Indikatoren: Die Flüchtlingsdebatte, eine bevorstehende Landtagswahl und die Instrumentalisierung durch rechte Gruppierungen. Alaa Sheikhi wurde nach dem Tod von Daniel Hillig festgenommen und ist einer der beiden Angeklagten im Prozess. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn des gemeinschaftlichen Totschlags an Daniel Hillig, versuchten gemeinschaftlichen Totschlags an Dimitri M. und gefährlicher Körperverletzung. Sein Begleiter Yousif Abdullah wurde aufgrund mangelnder Beweise vor dem Prozess freigesprochen. Nach dem zweiten Angeklagten, dem Iraker Farhad Ahmad, wird noch immer weltweit gefahndet. Bei Alaa Sheikhi ist die Beweislage bis zum Urteil schwach: DNA Spuren konnten laut übereinstimmenden Medienberichten weder am Tatmesser noch am Opfer selbst festgestellt werden. Die  100 zusätzlich befragten Zeugen ändern die Beweislage nicht. Im Wesentlichen glaubt das Gericht genau einer Person: Dem Hauptzeugen Younis al-N. Er arbeitete in der Tatnacht im Kebapimbiss Alanya und hat den Totschlag aus etwa 50 Metern Entfernung beobachtet. Seine Aussage änderte er mehrfach im Prozess, Grund dafür sollen laut mehreren Medienberichten Drohungen aus Kreisen von Alaa Sheikhi gewesen sein. Demnach wurde ihm unter anderem ausgerichtet, er würde in einem Sarg in sein Heimatland Libanon zurückkehren, wenn er die Aussage gegen Alaa Sheikhi nicht zurückziehe. In seiner ersten Aussage habe er stechende Schwingbewegungen gesehen. Später dementiert er dies und spricht von schlagenden Bewegungen. Ob Younis al-N. überhaupt etwas sehen konnte, überprüfte die Staatsanwaltschaft in der Nacht zum Donnerstag, den 13. Juni 2019, bei einer Tatortbegehung in der Brückenstraße in Chemnitz. An diesem Tag kehrte auch Alaa Sheikhi erstmals an den Tatort zurück. „Diese Stelle hat mein Leben verändert. Jetzt stehe ich dort und meine Hände und meine Füße sind gefesselt”, erzählt der Verurteilte in einem ZDF-Interview, das erst zwei Tage vor dem Urteil veröffentlicht wurde. Das war das Einzige, was Alaa Sheikhi zu seinem Prozess sagte – denn in allen Verhandlungen schwieg er. Nun wurde er in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen – nicht nachvollziehbar für seine Anwältin Ricarda Lang.

 
Bildquelle: Detlef Müller

Lang spricht gegenüber der Tagesschau von einem „traurigen Tag für den Rechtsstaat.” Das Gericht habe nicht unbeeinflusst von den politischen Verhältnissen in Chemnitz geurteilt. Nachdem rechte, gewaltbereite Gruppierungen die Straßen der Großstadt beherrscht haben, stehen die Richter unter einem öffentlichen Druck. Schon vor Beginn der Verhandlungen hatte Lang Bedenken geäußert, das Gericht könne nicht mehr angstfrei urteilen. Zwei Monate, also vier Verhandlungstage eher als geplant, endet der Prozess nach 19 Verhandlungstagen am 22. August 2019. Trotz der „dünnen Beweislage”, wie es in mehreren Medienberichten heißt, wird Alaa Sheikhi zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Insgesamt drei Stunden haben sich die Richter vor dem Urteil beraten

Worüber könnten sie gesprochen haben? Die Verurteilung eines womöglich Unschuldigen hinzunehmen, um nicht selbst zur Zielscheibe rechter Gruppierungen zu werden? „Es stärkt die Vermutung, dass die Richter sich zumindest zum Teil von einem Motiv haben leiten lassen, das in einem Gerichtssaal nicht das Geringste verloren hat: Rücksicht auf die politische Situation in Sachsen”, kommentiert Journalist Christian Bangel das Urteil bei Zeit Online. Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) wünschte sich kurz vor Prozessende die Verurteilung, damit die Familie von Daniel Hillig Ruhe finden könne. „Das heißt eine Oberbürgermeisterin nimmt oder versucht durch ihre Aussage, Einfluss zu nehmen auf eine vermeintlich unabhängige Justiz”, so die Anwältin Ricarda Lang gegenüber Frontal 21. Für Lang hatte ihr Mandant nie eine faire Chance. Ihrer Meinung nach wurde er politisiert und zum „Bauernopfer” gemacht. Ob dieses Opfer nötig war, um den Mob von Chemnitz versöhnlich zu stimmen, bleibt offen. 

Schlussendlich zeigt sich also eine Wechselwirkung zwischen der Tat, den Protesten und dem Prozess: Zum einen löste die Tat logischerweise den Prozess, aber auch die Proteste aus. Zum anderen haben die Demonstrationen die Aufarbeitung der Messerattacke maßgeblich beeinflusst – in einem Prozess, der mit allen seinen Begleiterscheinungen nun vorzeitig beendet ist. Und das alles in einem zunehmend verschärften politischen Klima aus Frust, Angst und Hass. Diese Probleme werden bestehen bleiben – weswegen die Ereignisse in Chemnitz wohl so schnell nicht in Vergessenheit geraten.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Lang spricht gegenüber der Tagesschau von einem „traurigen Tag für den Rechtsstaat.” Das Gericht habe nicht unbeeinflusst von den politischen Verhältnissen in Chemnitz geurteilt. Nachdem rechte, gewaltbereite Gruppierungen die Straßen der Großstadt beherrscht haben, stehen die Richter unter einem öffentlichen Druck. Schon vor Beginn der Verhandlungen hatte Lang Bedenken geäußert, das Gericht könne nicht mehr angstfrei urteilen. Zwei Monate, also vier Verhandlungstage eher als geplant, endet der Prozess nach 19 Verhandlungstagen am 22. August 2019. Trotz der „dünnen Beweislage”, wie es in mehreren Medienberichten heißt, wird Alaa Sheikhi zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Insgesamt drei Stunden haben sich die Richter vor dem Urteil beraten

Worüber könnten sie gesprochen haben? Die Verurteilung eines womöglich Unschuldigen hinzunehmen, um nicht selbst zur Zielscheibe rechter Gruppierungen zu werden? „Es stärkt die Vermutung, dass die Richter sich zumindest zum Teil von einem Motiv haben leiten lassen, das in einem Gerichtssaal nicht das Geringste verloren hat: Rücksicht auf die politische Situation in Sachsen”, kommentiert Journalist Christian Bangel das Urteil bei Zeit Online. Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) wünschte sich kurz vor Prozessende die Verurteilung, damit die Familie von Daniel Hillig Ruhe finden könne. „Das heißt eine Oberbürgermeisterin nimmt oder versucht durch ihre Aussage, Einfluss zu nehmen auf eine vermeintlich unabhängige Justiz”, so die Anwältin Ricarda Lang gegenüber Frontal 21. Für Lang hatte ihr Mandant nie eine faire Chance. Ihrer Meinung nach wurde er politisiert und zum „Bauernopfer” gemacht. Ob dieses Opfer nötig war, um den Mob von Chemnitz versöhnlich zu stimmen, bleibt offen. 

Schlussendlich zeigt sich also eine Wechselwirkung zwischen der Tat, den Protesten und dem Prozess: Zum einen löste die Tat logischerweise den Prozess, aber auch die Proteste aus. Zum anderen haben die Demonstrationen die Aufarbeitung der Messerattacke maßgeblich beeinflusst – in einem Prozess, der mit allen seinen Begleiterscheinungen nun vorzeitig beendet ist. Und das alles in einem zunehmend verschärften politischen Klima aus Frust, Angst und Hass. Diese Probleme werden bestehen bleiben – weswegen die Ereignisse in Chemnitz wohl so schnell nicht in Vergessenheit geraten.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018