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Das Lauffeuer

Bildquelle: Tino Schneegass

Das Lauffeuer

Bildquelle: Tino Schneegass

Die leeren Gondeln des Riesenrads schwingen träge im Wind. Kalte Zigarettenstummel säumen den Fußweg der Brückenstraße. Der Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln strömt noch nicht durch die Straßen der Stadt. Denn das Stadtfest in Chemnitz schläft noch. Das bisher jährlich wiederkehrende Fest habe für Chemnitz einen Image prägenden und identitätsstiftenden Sinn und Zweck, so der Veranstalter. Doch dieses Mal soll es das Gesicht von Chemnitz nachhaltig verändern, denn nur wenige Meter entfernt, in der Redaktion von Tag24, wird gerade eine Nachricht verfasst, die Ereignisse auslösen wird, die die Stadt tagelang in Atem halten soll.

Um 7:54 Uhr berichtet das Onlineportal Tag24 als Erstes über die Geschehnisse der letzten Nacht: „Am Rande des Stadtfest-Geländes ist es in der Nacht zu Sonntag gegen drei Uhr zu einer tödlichen Auseinandersetzung gekommen mit drei Verletzten, einer von ihnen verstarb.” Das Onlineportal berichtet weiterhin: „Nach ersten Informationen soll in der Brückenstraße eine Frau belästigt worden sein. Als ihr Männer zu Hilfe kommen wollten, eskalierte offenbar die Situation.” Diese Meldung wurde von der Polizei nicht bestätigt und soll sich auch später als falsch herausstellen.

Doch woher stammt diese Falsch-Information, die eine Kettenreaktion auslöste, die nicht zu stoppen war? Wie das ZDF-Team Frontal21 später berichtete, existiere eine Sprachnachricht, die ein Mitarbeiter der Stadtreinigung Chemnitz in eine rechtsradikale WhatsApp-Gruppe gepostet haben soll. Diese Nachricht ist laut ZDF zwischen drei und sechs Uhr gesendet worden. Ob diese Sprachnachricht die im ersten Onlinebericht genannten „Informationen” und damit die Quelle für die Falschmeldung darstellt, ist auch ein Jahr später unklar. Auf Nachfragen, ob diese Sprachnachricht existiere, antwortetet die Stadtreinigung Chemnitz: „Inwieweit dies möglicherweise ein Mitarbeiter von uns war, können wir nicht beurteilen und auch nicht kommentieren.” Die Stadtreinigung bittet die Redaktion zudem, keine weiteren Fragen diesbezüglich zu stellen.
Auch die Redakteure und die redaktionelle Leitung von Tag24 sind auf mehrfache Nachfrage zu keiner Aussage bereit, die die Quelle der Nachricht betrifft. Aufgrund der möglichen inhaltlichen Überschneidung ist ein Zusammenhang zwischen der Sprachnachricht und dem Artikel von Tag24 möglich, aktuell aber nicht zu belegen. Nachzuvollziehen ist aber die schnelle Verbreitung der Meldung unter anderem in den sozialen Medien und hier besonders in den weit verzweigten rechtsradikalen oder rechtskonservativen Kreisen rund um Chemnitz. Um besser zu verstehen, wie dies so schnell möglich ist, ist es notwendig, die rechtsradikalen Strukturen zu durchleuchten und einzuordnen. Denn genau in diesem Netzwerk rund um Chemnitz verbreitet sich die Falschmeldung am Vor- und Nachmittag des 26. Augusts 2018 wie ein Lauffeuer. Dadurch wird eine Kettenreaktion von Gewalt ausgelöst, die Chemnitz erschüttern soll.

 
Bildquelle: De Havilland | https://flic.kr/p/Nx6235 | CC BY-NC 2.0

Die leeren Gondeln des Riesenrads schwingen träge im Wind. Kalte Zigarettenstummel säumen den Fußweg der Brückenstraße. Der Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln strömt noch nicht durch die Straßen der Stadt. Denn das Stadtfest in Chemnitz schläft noch. Das bisher jährlich wiederkehrende Fest habe für Chemnitz einen Image prägenden und identitätsstiftenden Sinn und Zweck, so der Veranstalter. Doch dieses Mal soll es das Gesicht von Chemnitz nachhaltig verändern, denn nur wenige Meter entfernt, in der Redaktion von Tag24, wird gerade eine Nachricht verfasst, die Ereignisse auslösen wird, die die Stadt tagelang in Atem halten soll.

Um 7:54 Uhr berichtet das Onlineportal Tag24 als Erstes über die Geschehnisse der letzten Nacht: „Am Rande des Stadtfest-Geländes ist es in der Nacht zu Sonntag gegen drei Uhr zu einer tödlichen Auseinandersetzung gekommen mit drei Verletzten, einer von ihnen verstarb.” Das Onlineportal berichtet weiterhin: „Nach ersten Informationen soll in der Brückenstraße eine Frau belästigt worden sein. Als ihr Männer zu Hilfe kommen wollten, eskalierte offenbar die Situation.” Diese Meldung wurde von der Polizei nicht bestätigt und soll sich auch später als falsch herausstellen.

Doch woher stammt diese Falsch-Information, die eine Kettenreaktion auslöste, die nicht zu stoppen war? Wie das ZDF-Team Frontal21 später berichtete, existiere eine Sprachnachricht, die ein Mitarbeiter der Stadtreinigung Chemnitz in eine rechtsradikale WhatsApp-Gruppe gepostet haben soll. Diese Nachricht ist laut ZDF zwischen drei und sechs Uhr gesendet worden. Ob diese Sprachnachricht die im ersten Onlinebericht genannten „Informationen” und damit die Quelle für die Falschmeldung darstellt, ist auch ein Jahr später unklar. Auf Nachfragen, ob diese Sprachnachricht existiere, antwortetet die Stadtreinigung Chemnitz: „Inwieweit dies möglicherweise ein Mitarbeiter von uns war, können wir nicht beurteilen und auch nicht kommentieren.” Die Stadtreinigung bittet die Redaktion zudem, keine weiteren Fragen diesbezüglich zu stellen.
Auch die Redakteure und die redaktionelle Leitung von Tag24 sind auf mehrfache Nachfrage zu keiner Aussage bereit, die die Quelle der Nachricht betrifft. Aufgrund der möglichen inhaltlichen Überschneidung ist ein Zusammenhang zwischen der Sprachnachricht und dem Artikel von Tag24 möglich, aktuell aber nicht zu belegen. Nachzuvollziehen ist aber die schnelle Verbreitung der Meldung unter anderem in den sozialen Medien und hier besonders in den weit verzweigten rechtsradikalen oder rechtskonservativen Kreisen rund um Chemnitz. Um besser zu verstehen, wie dies so schnell möglich ist, ist es notwendig, die rechtsradikalen Strukturen zu durchleuchten und einzuordnen. Denn genau in diesem Netzwerk rund um Chemnitz verbreitet sich die Falschmeldung am Vor- und Nachmittag des 26. Augusts 2018 wie ein Lauffeuer. Dadurch wird eine Kettenreaktion von Gewalt ausgelöst, die Chemnitz erschüttern soll.

 
Bildquelle: De Havilland | https://flic.kr/p/Nx6235 | CC BY-NC 2.0

Wie die rechte Szene in Chemnitz aufgebaut und wie eine so rasche Vernetzung möglich ist, erklärt Steven Seiffert vom Kulturbüro Sachsen: „In Chemnitz haben wir es zu tun mit dem kompletten Spektrum von eher gemäßigten Rechten und Nationalkonservativen bis hin zu Gruppen mit neonationalsozialistischen Strukturen. Aber auch alte Strukturen unter anderem des Umfelds, das die NSU-Gruppierungen unterstützt, sind noch vorhanden.” Seiffert und seine Kollegin Anne Gehrmann haben durch ihre Arbeit im mobilen Beratungsteam Südwest, das unter anderem für Chemnitz zuständig ist, einen tiefen Einblick in die rechtsradikalen Strukturen der Stadt.

Auch Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen, der in der Fachstelle Jugendhilfe am Standort Dresden arbeitet, teilt ihre Einschätzung zu den Strukturen in Chemnitz:

Durch diesen Nährboden sei in den letzten Jahren ein „gesellschaftliches Klima entstanden, das Gewalt, besonders rassistische Gewalt, nicht ablehnt”, so Seiffert. Auch die Annahme, dass diese Gewalt immer nur von klar erkennbaren und organisierten Neonazis ausgehe, könne widerlegt werden, meint er: „Die rassistischen Übergriffe, die stattfinden, finden zu einem relevanten Teil auch von ‘normalen’ Bürgern statt und diese kann man nicht unbedingt einer Szene zuordnen. Sie fühlen sich sicher und angestachelt durch ein entstehendes und existierendes gesellschaftliches Klima, in dem so ein Rassismus kein Problem mehr darstellt.“ Das sei letztendlich die Voraussetzung dafür, dass Gruppen und Einzelpersonen über Jahrzehnte hinweg aktiv sein können und immer wieder neuen Nachwuchs fänden, so Seiffert.

So erklärt sich auch, dass laut einer Statistik der Opferberatung Support” des Vereins Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA Sachsen e.V) seit 2012 die meisten der rechten Angriffe rassistisch sind. Seit 2014 sind rund zwei Drittel der Angriffe aufgrund von Rassismus verübt worden, so auch 2018. In Sachsen zählte die Opferberatungsstelle 2018 rund 317 rassistische und rechtsmotivierte Angriffe. Besonders in Chemnitz zeichnet sich ein Anstieg dieser Gewalttaten ab: Von 20 Gewalttaten im Jahr 2017 stiegen sie auf 79 im Jahr 2018, das sei hauptsächlich auf die hier thematisierten Ereignisse in Chemnitz zurückzuführen, so die Sächsische Staatskanzlei in einer Mitteilung. Auch die sächsische Staatsministerin für Gesellschaft und Integration, Petra Köpping, erkennt demnach das Problem an: „So bitter es auch ist, in Sachsen gehören rechte und rassistische Gewalt zur Lebensrealität. Es gibt keinen Grund, dies zu beschönigen. Die Kräfte und Strukturen von rechts bedrohen den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft”, wird sie in der Mitteilung zitiert.

Doch der Freistaat Sachsen will dagegen vorgehen und verstärkt Maßnahmen gegen Rechtsextremismus einleiten. Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller und Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar haben ein Konzept vorgestellt, um dies umzusetzen. Es beinhaltet neben der neuen Soko Rex am Landeskriminalamt auch einen Plan zur vermehrten Internet-basierten Fahndung. Die Fokussierung auf die Fahndung im Internet kann als eine Reaktion auf die Ereignisse in Chemnitz gewertet werden. Die sächsische Polizei hat zudem auch ein Social-Media-Team, das aktuell aus fünf Polizeibeamten besteht. Das Team betreut die Kanäle der Polizei in den sozialen Netzwerken und ist zuständig für die Redaktion, das Monitoring und das Community Management. Über diese Kanäle kommuniziert die Polizei auch während den Ereignissen in Chemnitz mit den Nutzern. Sowohl die Polizei als auch die rechtsradikalen beziehungsweise rechtskonservativen Gruppen nutzen also die sozialen Medien zur schnellen Kommunikation über Ortsgrenzen hinweg.
Da sich, laut Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen, das Netzwerk der rechten Szene auch über Chemnitz hinaus erstrecke, können über die sozialen Medien, mit einem Klick, viele Menschen erreicht werden. Um die Vernetzung in den Kreisen zu gewährleisten, seien jedoch auch verschiedene Schlüsselpersonen wichtig, die wie Knotenpunkte zwischen den einzelnen Gruppierungen funktionieren, so Kulturbüro-Kollegin Anne Gehrmann vom mobilen Beratungsteam Südwest. Diese würden dann auch eine wichtige Rolle in der Mobilisierung spielen.

Die entsprechenden Info-Kanäle würden, laut Seiffert, einfach funktionieren: „Ein großer Teil der Mobilisierung findet auf Facebook statt. Wie auch schon bei den Asyl-feindlichen Initiativen in den Jahren 2015 und 2016. Diese ganzen Kanäle laufen weiter und sind relevante Orte, um Information für unheimlich viele Leute zugänglich zu machen. Sie bieten einfach einen sehr kurzen Weg zu den Menschen. Wenn dort etwas geteilt wird, erreicht das innerhalb von kürzester Zeit sehr viele Leute.“

Bildquelle: Detlef Müller

Wie die rechte Szene in Chemnitz aufgebaut und wie eine so rasche Vernetzung möglich ist, erklärt Steven Seiffert vom Kulturbüro Sachsen: „In Chemnitz haben wir es zu tun mit dem kompletten Spektrum von eher gemäßigten Rechten und Nationalkonservativen bis hin zu Gruppen mit neonationalsozialistischen Strukturen. Aber auch alte Strukturen unter anderem des Umfelds, das die NSU-Gruppierungen unterstützt, sind noch vorhanden.” Seiffert und seine Kollegin Anne Gehrmann haben durch ihre Arbeit im mobilen Beratungsteam Südwest, das unter anderem für Chemnitz zuständig ist, einen tiefen Einblick in die rechtsradikalen Strukturen der Stadt.

Auch Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen, der in der Fachstelle Jugendhilfe am Standort Dresden arbeitet, teilt ihre Einschätzung zu den Strukturen in Chemnitz:

Durch diesen Nährboden sei in den letzten Jahren ein „gesellschaftliches Klima entstanden, das Gewalt, besonders rassistische Gewalt, nicht ablehnt”, so Seiffert. Auch die Annahme, dass diese Gewalt immer nur von klar erkennbaren und organisierten Neonazis ausgehe, könne widerlegt werden, meint er: „Die rassistischen Übergriffe, die stattfinden, finden zu einem relevanten Teil auch von ‘normalen’ Bürgern statt und diese kann man nicht unbedingt einer Szene zuordnen. Sie fühlen sich sicher und angestachelt durch ein entstehendes und existierendes gesellschaftliches Klima, in dem so ein Rassismus kein Problem mehr darstellt.“ Das sei letztendlich die Voraussetzung dafür, dass Gruppen und Einzelpersonen über Jahrzehnte hinweg aktiv sein können und immer wieder neuen Nachwuchs fänden, so Seiffert.

So erklärt sich auch, dass laut einer Statistik der Opferberatung Support” des Vereins Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA Sachsen e.V) seit 2012 die meisten der rechten Angriffe rassistisch sind. Seit 2014 sind rund zwei Drittel der Angriffe aufgrund von Rassismus verübt worden, so auch 2018. In Sachsen zählte die Opferberatungsstelle 2018 rund 317 rassistische und rechtsmotivierte Angriffe. Besonders in Chemnitz zeichnet sich ein Anstieg dieser Gewalttaten ab: Von 20 Gewalttaten im Jahr 2017 stiegen sie auf 79 im Jahr 2018, das sei hauptsächlich auf die hier thematisierten Ereignisse in Chemnitz zurückzuführen, so die Sächsische Staatskanzlei in einer Mitteilung. Auch die sächsische Staatsministerin für Gesellschaft und Integration, Petra Köpping, erkennt demnach das Problem an: „So bitter es auch ist, in Sachsen gehören rechte und rassistische Gewalt zur Lebensrealität. Es gibt keinen Grund, dies zu beschönigen. Die Kräfte und Strukturen von rechts bedrohen den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft”, wird sie in der Mitteilung zitiert.

Doch der Freistaat Sachsen will dagegen vorgehen und verstärkt Maßnahmen gegen Rechtsextremismus einleiten. Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller und Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar haben ein Konzept vorgestellt, um dies umzusetzen. Es beinhaltet neben der neuen Soko Rex am Landeskriminalamt auch einen Plan zur vermehrten Internet-basierten Fahndung. Die Fokussierung auf die Fahndung im Internet kann als eine Reaktion auf die Ereignisse in Chemnitz gewertet werden. Die sächsische Polizei hat zudem auch ein Social-Media-Team, das aktuell aus fünf Polizeibeamten besteht. Das Team betreut die Kanäle der Polizei in den sozialen Netzwerken und ist zuständig für die Redaktion, das Monitoring und das Community Management. Über diese Kanäle kommuniziert die Polizei auch während den Ereignissen in Chemnitz mit den Nutzern. Sowohl die Polizei als auch die rechtsradikalen beziehungsweise rechtskonservativen Gruppen nutzen also die sozialen Medien zur schnellen Kommunikation über Ortsgrenzen hinweg.
Da sich, laut Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen, das Netzwerk der rechten Szene auch über Chemnitz hinaus erstrecke, können über die sozialen Medien, mit einem Klick, viele Menschen erreicht werden. Um die Vernetzung in den Kreisen zu gewährleisten, seien jedoch auch verschiedene Schlüsselpersonen wichtig, die wie Knotenpunkte zwischen den einzelnen Gruppierungen funktionieren, so Kulturbüro-Kollegin Anne Gehrmann vom mobilen Beratungsteam Südwest. Diese würden dann auch eine wichtige Rolle in der Mobilisierung spielen.

Die entsprechenden Info-Kanäle würden, laut Seiffert, einfach funktionieren: „Ein großer Teil der Mobilisierung findet auf Facebook statt. Wie auch schon bei den Asyl-feindlichen Initiativen in den Jahren 2015 und 2016. Diese ganzen Kanäle laufen weiter und sind relevante Orte, um Information für unheimlich viele Leute zugänglich zu machen. Sie bieten einfach einen sehr kurzen Weg zu den Menschen. Wenn dort etwas geteilt wird, erreicht das innerhalb von kürzester Zeit sehr viele Leute.“

Bildquelle: Detlef Müller

„Unsere Stadt – Unsere Regeln”

Genau diese Kommunikationsstrukturen werden am 26. August 2018 rund eine Stunde nach der Veröffentlichung der Meldung von Tag24 genutzt. Denn um 09:08 Uhr postet die Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz folgendes auf ihrer Facebook Seite:

Bei den Kaotics Chemnitz handelt es sich um eine Hooligan-Gruppe der Fanszene des Chemnitzer FC. Im jüngsten Verfassungsschutzbericht werden die Kaotics Chemnitz als „rechtsextremisitsche Hooligan-Gruppierung” bezeichnet. Damit stehen sie laut des sächsischen Verfassungsschutzberichts seit längerem wieder im Zusammenhang mit der rechtsextremen Szene in Chemnitz. Zur Begründung werden unter anderem gemeinsame Aktivitäten sowie personelle Überschneidungen zur Anfang 2014 verbotenen rechtsextremen Gruppierung Nationale Sozialisten Chemnitz angegeben. Auch Steven Seiffert bestätigt den Einfluss der Kaotics Chemnitz auf die rechte Szene: „Die Kaotics haben einen Namen in der Hooligan-Szene. Wenn die einen Aufruf starten, wirkt das relativ schnell und Hools (Hooligans, Anm d. Red.) sind tendenziell sowieso schnell. Da gehört es dazu, sich am Nachmittag mal ins Auto zu setzen und irgendwo hinzufahren.” Aber sie sind nicht die Einzigen, die die Nachricht aufschnappen und verbreiten.

 
Bildquelle: Johannes Grunert

„Unsere Stadt – Unsere Regeln”

Genau diese Kommunikationsstrukturen werden am 26. August 2018 rund eine Stunde nach der Veröffentlichung der Meldung von Tag24 genutzt. Denn um 09:08 Uhr postet die Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz folgendes auf ihrer Facebook Seite:

Bei den Kaotics Chemnitz handelt es sich um eine Hooligan-Gruppe der Fanszene des Chemnitzer FC. Im jüngsten Verfassungsschutzbericht werden die Kaotics Chemnitz als „rechtsextremisitsche Hooligan-Gruppierung” bezeichnet. Damit stehen sie laut des sächsischen Verfassungsschutzberichts seit längerem wieder im Zusammenhang mit der rechtsextremen Szene in Chemnitz. Zur Begründung werden unter anderem gemeinsame Aktivitäten sowie personelle Überschneidungen zur Anfang 2014 verbotenen rechtsextremen Gruppierung Nationale Sozialisten Chemnitz angegeben. Auch Steven Seiffert bestätigt den Einfluss der Kaotics Chemnitz auf die rechte Szene: „Die Kaotics haben einen Namen in der Hooligan-Szene. Wenn die einen Aufruf starten, wirkt das relativ schnell und Hools (Hooligans, Anm d. Red.) sind tendenziell sowieso schnell. Da gehört es dazu, sich am Nachmittag mal ins Auto zu setzen und irgendwo hinzufahren.” Aber sie sind nicht die Einzigen, die die Nachricht aufschnappen und verbreiten.

 
Bildquelle: Johannes Grunert

Auch die AfD Chemnitz teilt den Artikel von Tag24 um 11:43 Uhr auf Facebook und kommentiert ironisch: „Auf die Reaktion der Regierenden und der Medien darf man gespannt sein. Ob sie auch so heftig ausfällt, wie bei dem harmlosen Pegida-Demonstranten.“ Bis heute hat der Artikel 45 Kommentare und wurde 119 Mal geteilt. Doch es bleibt nicht nur bei diesem einen Facebook-Post, denn um 12:26 Uhr ruft die AfD zu einer Gedenkminute für den Getöteten Daniel Hillig auf. Der Pressesprecher der AfD Chemnitz,Tino Schneegass, sagt im exklusiven Interview: „Die AfD Chemnitz hatte an dem Sonntag einen Stand am Rand des Stadtfestes. Als wir davon erfahren haben, haben wir dann gegen Mittag entschieden, eine spontane Gedenkminute an dem Tatort zu halten. Also haben wir auf Facebook dazu aufgerufen. Es wurde klar gesagt: ‚Wir machen keine Demo und es werden keine Reden gehalten.’” Es sei ein Aufruf gegen jede Gewalt von allen Seiten gewesen, so Schneegass, und dem Aufruf seien rund 200 Leute gefolgt. Diese sollen sich, wie es in dem Polizeibericht steht, gegen 15 Uhr in der Nähe des Tatortes versammelt haben. Laut Schneegass sei die Veranstaltung ohne Zwischenfälle und sehr diszipliniert abgelaufen. „Wir wollten ein Zeichen gegen Gewalt setzen. Es ging nicht um Asylbewerber, das war überhaupt nicht das Thema.” Die Polizei bestätigt in ihrem Bericht, dass die Versammlung  „ohne weitere Vorkommnisse” geendet habe. Trotzdem sei die Stimmung angespannt gewesen, berichtet der AfD-Pressesprecher: „Man hat natürlich gemerkt, dass eine unheimliche Spannung in der Luft liegt. Es gab Gemurmel und laute Diskussionen von allen Seiten. Es war ein Gefühl von: ‚Jetzt läuft das Fass über, jetzt ist es auch in unserer Stadt angekommen.’”

Doch Chemnitz hat bis dahin nicht viel mitbekommen. Auf dem Stadtfest hat inzwischen ein neuer Tag begonnen. Dass er früher als geplant enden wird, können die Budenbetreiber noch nicht ahnen. Kinder laufen mit Ballons durch die Straßen der Innenstadt und das Karussell dreht stetig seine Runden. Der Freien Presse erklärt Sören Uhle, Geschäftsführer der Chemnitzer Wirtschaftsförderung und Veranstalter des Stadtfestes, noch am Sonntagmorgen, dass der tödliche Vorfall keine Auswirkungen auf das Stadtfest haben solle. Im Verlauf des Vormittags entscheidet man sich jedoch für einen Abbruch. Laut der Welt war die offizielle Begründung, dass man sich aus Pietätsgründen dazu entschlossen habe. Während sich also die Fahrgeschäfte nach und nach leeren, bahnt sich nur eine Ecke weiter vor dem Karl-Marx-Monument eine Versammlung an.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Auch die AfD Chemnitz teilt den Artikel von Tag24 um 11:43 Uhr auf Facebook und kommentiert ironisch: „Auf die Reaktion der Regierenden und der Medien darf man gespannt sein. Ob sie auch so heftig ausfällt, wie bei dem harmlosen Pegida-Demonstranten.“ Bis heute hat der Artikel 45 Kommentare und wurde 119 Mal geteilt. Doch es bleibt nicht nur bei diesem einen Facebook-Post, denn um 12:26 Uhr ruft die AfD zu einer Gedenkminute für den Getöteten Daniel Hillig auf. Der Pressesprecher der AfD Chemnitz,Tino Schneegass, sagt im exklusiven Interview: „Die AfD Chemnitz hatte an dem Sonntag einen Stand am Rand des Stadtfestes. Als wir davon erfahren haben, haben wir dann gegen Mittag entschieden, eine spontane Gedenkminute an dem Tatort zu halten. Also haben wir auf Facebook dazu aufgerufen. Es wurde klar gesagt: ‚Wir machen keine Demo und es werden keine Reden gehalten.’” Es sei ein Aufruf gegen jede Gewalt von allen Seiten gewesen, so Schneegass, und dem Aufruf seien rund 200 Leute gefolgt. Diese sollen sich, wie es in dem Polizeibericht steht, gegen 15 Uhr in der Nähe des Tatortes versammelt haben. Laut Schneegass sei die Veranstaltung ohne Zwischenfälle und sehr diszipliniert abgelaufen. „Wir wollten ein Zeichen gegen Gewalt setzen. Es ging nicht um Asylbewerber, das war überhaupt nicht das Thema.” Die Polizei bestätigt in ihrem Bericht, dass die Versammlung  „ohne weitere Vorkommnisse” geendet habe. Trotzdem sei die Stimmung angespannt gewesen, berichtet der AfD-Pressesprecher: „Man hat natürlich gemerkt, dass eine unheimliche Spannung in der Luft liegt. Es gab Gemurmel und laute Diskussionen von allen Seiten. Es war ein Gefühl von: ‚Jetzt läuft das Fass über, jetzt ist es auch in unserer Stadt angekommen.’”

Doch Chemnitz hat bis dahin nicht viel mitbekommen. Auf dem Stadtfest hat inzwischen ein neuer Tag begonnen. Dass er früher als geplant enden wird, können die Budenbetreiber noch nicht ahnen. Kinder laufen mit Ballons durch die Straßen der Innenstadt und das Karussell dreht stetig seine Runden. Der Freien Presse erklärt Sören Uhle, Geschäftsführer der Chemnitzer Wirtschaftsförderung und Veranstalter des Stadtfestes, noch am Sonntagmorgen, dass der tödliche Vorfall keine Auswirkungen auf das Stadtfest haben solle. Im Verlauf des Vormittags entscheidet man sich jedoch für einen Abbruch. Laut der Welt war die offizielle Begründung, dass man sich aus Pietätsgründen dazu entschlossen habe. Während sich also die Fahrgeschäfte nach und nach leeren, bahnt sich nur eine Ecke weiter vor dem Karl-Marx-Monument eine Versammlung an.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Die Stimmung kippt

Das Riesenrad erhebt sich über die Brückenstraße, die sich quer durch die Chemnitzer Innenstadt zieht und einen zentralen Schauplatz des Stadtfestes bildet. Auf den ersten Blick wirkt alles wie am Vortag. Doch die Gondeln stehen wieder still, genau wie die anderen Fahrgeschäfte, während unten neben der sich auflösenden Besuchermenge die Händler langsam zusammenpacken. Der Journalist Johannes Grunert, der unter anderem für den Zeit Online-Blog „Störungsmelder” aktiv ist und sich dort mit Rechtsextremismus auseinandersetzt, ist an diesem Tag ebenfalls vor Ort und beschreibt im Interview die Stimmung: „Die Unbeschwertheit war komplett verschwunden, die Leute waren angespannt, redeten darüber, was in der Nacht passiert war.”

Grunert ist nicht der einzige, der das wahrnimmt. Anna, 19 Jahre alt, ist mit ihrer Freundin in der Stadt, als sie spürt, wie sich die Stimmung verändert: „Es hing eine ganz heftige Spannung in der Luft, absolut keine Freude, niemand amüsierte sich. Man hat direkt diesen Umschwung gemerkt von freudigem Stadtfest, von ‚Hurra, wir sind Chemnitz‘, zu absolut keiner Freude mehr.” Das sei sehr, sehr bedrückend gewesen. Anna, die ihren vollen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen will, stammt aus Chemnitz, studiert jedoch derzeit in Dresden. Sie ist an diesem Wochenende zu Besuch bei ihrer Mutter. Die erzählt ihr dann später zu Hause von dem Gerücht, dass eine Frau belästigt worden sei und ein Mann beim Versuch, sie zu beschützen, erstochen wurde. Als Anna sich an diesem Nachmittag mit ihrer Freundin in der Stadt aufhält, weiß sie noch nicht, was sich im Zuge dieses Gerüchts im Hintergrund anbahnt. Später sollen die beiden, genau wie Johannes Grunert, Zeugen von Geschehnissen werden, die ganz Deutschland auf Chemnitz blicken lassen.

Eine Stadt im Kaos”

Blick vom Zentrum in Richtung Brückenstraße, zum nördlichen Teil des Stadtfestes. Es ist 16:30 Uhr, die Veranstaltung seit einer halben Stunde vorbei, genau wie die Gedenkminute der AfD. Doch die Stadt leert sich nicht – im Gegenteil. Vor dem Karl-Marx-Monument wächst eine Menschenmenge. Der Journalist Grunert berichtet auf Twitter, wo er auch die restlichen Geschehnisse des Tages dokumentiert, von 300 Personen am Monument. „Von den Umstehenden stellten sich viele Menschen dazu, es kamen permanent größere Gruppen, aus den 300 wurden mehrere hundert”, schildert er im Interview. Zufällig Anwesenden wie Anna ist unklar, wo und warum sich plötzlich so viele Menschen versammeln: „Wir waren richtig schockiert, woher so viele Menschen kamen, die anfangen, eine Demo loszureißen, obwohl man die Zeit doch den Leuten geben sollte, die wirklich um Daniel trauern.” Tatsächlich sind dem Aufruf der Fangruppierung Kaotic Chemnitz vom Morgen zu diesem Zeitpunkt laut Landespolizei bereits 800 Menschen gefolgt. 

Die Versammlung ist nicht angemeldet, wie aus der Redaktion vorliegenden Angaben des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) sowie des Chemnitzer Ordnungsamtes hervorgeht. Weder Versammlungsmotto noch Versammlungsleitung sind bekannt, weswegen Versammlungsbehörde und Polizei von einer Ansammlung ausgehen. Die Polizei versucht, Ansprechpartner und Verantwortliche in der Menge ausfindig zu machen, doch da setzt sie sich schon in Bewegung. „Die Polizei war mit wenigen Kräften vor Ort und versuchte verzweifelt, jemanden zu finden, der sich dafür verantwortlich zeichnet und als Anmelder fungieren könnte, was schlichtweg verweigert wurde“, beobachtete Journalist Grunert und ergänzt: „Es wurde den Beamten auch einfach das Gespräch verweigert.“

 

Info: Versammlung vs. Ansammlung

Voraussetzung für eine Versammlung ist die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck, zum Beispiel einer Kundgebung, mit dem Ziel, an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben. Die Zusammenkunft an diesem Tag wurde nicht als Versammlung angemeldet. Von Polizei und Versammlungsbehörde konnten vor Ort weder ein gemeinsames Motto (und damit kein gemeinsamer Zweck der Anwesenden) noch ein Versammlungsleiter ausfindig gemacht werden. Damit hat die Zusammenkunft die Kriterien einer Versammlung nicht erfüllt und die Behörden haben sie als Ansammlung eingestuft. Folglich gab es an diesem Tag keine Anzeigen auf Verdacht der Verletzung des Sächsischen Versammlungsgesetzes, da dieses nur bei öffentlichen Versammlungen beziehungsweise Aufzügen greift.

Diese Informationen gehen aus den Antworten des Sächsischen Innenministeriums auf die Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) hervor. Die Unterscheidung ist deswegen bedeutsam, da bei Ansammlungen nicht dieselben rechtlichen Voraussetzungen greifen wie bei Versammlungen.

Es war gar kein Schutz da”

Die Menschenmenge bewegt sich in Richtung Riesenrad (siehe Karte unten), vorbei an geschlossenen Ständen, leeren Fahrgeschäften und der nun verlassenen MDR-Bühne, hinter der die Polizei laut Medienberichten später das Tatmesser im Fall Daniel Hillig sicherstellen wird. An der nächsten Kreuzung biegt die Menge in die Theaterstraße ein. Die Polizei kann die Bewegung nicht stoppen. „Da zu diesem Zeitpunkt für die Durchführung von polizeilichen Maßnahmen nicht ausreichend Einsatzkräfte zur Verfügung standen, blieben die Versuche erfolglos, die Menschenmenge anzuhalten“, heißt es in den Antworten auf die Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) beim SMI. Nach Angaben der Polizei verlegte die Bereitschaftspolizei da bereits Einsatzkräfte von Dresden und Leipzig nach Chemnitz.

Insgesamt seien an diesem Tag nach Angaben des SMI beim Stadtfest und der späteren Demonstration 40 Beamte aus der Polizeidirektion Chemnitz, 350 aus dem Präsidium der Bereitschaftspolizei Sachsen und mindestens zehn Beamte in ziviler Kleidung im Einsatz gewesen. Anna beschreibt im Interview, dass sie sich von der Polizei nicht ausreichend geschützt gefühlt hat: „Es waren urplötzlich viele Demonstrierende in der Stadt, das war der übelste Mob sozusagen. Dazu kamen vielleicht vier, fünf Polizisten an der einen, ein paar Polizisten an der anderen Ecke und das war‘s. Man hat nicht wirklich viele Polizeiautos gesehen, sondern nur vereinzelt dastehende Personen. Es war gar kein Schutz da.“

Bereits kurz nachdem die Menge sich in Bewegung gesetzt hat, kann der Journalist Johannes Grunert Szenen wahrnehmen, wie sie an diesem Tag vermehrt in Berichten auftauchen. „Ich habe beobachtet, wie Menschen, die aussahen, als hätten sie einen Migrationshintergrund, gejagt wurden. Das ging los, als der Marsch noch auf der Theaterstraße war”, beschreibt er. Im Verlauf des Demonstrationszuges soll es zu weiteren solcher Zwischenfälle kommen, wie Zeugen und Betroffene noch schildern werden.

Das Ganze hatte eine große Dynamik”

Von der Theaterstraße aus schwenkt die Menge nun in die Innenstadt ab. In Videos dazu sind laut skandierende Stimmen zu hören: „Wir sind das Volk”, „das ist unsere Stadt”, „Ausländer raus”. In dieser Phase sollen nach Informationen der Polizei und des SMI Demonstrierende Steine und Flaschen auf Beamte geworfen haben. „Zur Abwehr dieser Angriffe setzte der Polizeivollzugsdienst Reizgas sowie den Einsatzmehrzweckstock ein. Dies bewirkte im weiteren Verlauf auch, die Bewegungsrichtung der Personengruppe weitgehend zu lenken und eine Abspaltung von Kleingruppen zu vermeiden”, teilt das SMI mit.

Doch aus welchen Gruppierungen setzte sich die Menge überhaupt zusammen? Aus der Kleinen Anfrage der Linken-Politikerin Nagel geht hervor, dass nach derzeitigem Kenntnisstand des SMI auch Mitglieder und Anhänger der Partei Der Dritte Weg anwesend waren. Außerdem wurden etwa 25 Personen in typischer Fankleidung dem Umfeld des Chemnitzer FCs und der Fangruppierung Kaotic Chemnitz zugeordnet sowie vereinzelte Personen den Fanclubs des 1. FC Lok Leipzig, des Halleschen FC, des FC Energie Cottbus, der SG Dynamo Dresden und des 1. FC Magdeburg. „Die Zahl der gewaltbereiten Teilnehmer wurde im Verlauf des Marsches durch den PVD (Polizeivollzugsdienst, Anm. d. Red.) auf insgesamt circa 50 Personen geschätzt”, heißt es weiterhin. Diese hätten in dem Aufzug den Ton angegeben, so die Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel laut der Freien Presse.

Nach Einschätzungen von Johannes Grunert waren auch Teile der rechten Bürgerbewegungen aus dem Raum Dresden sowie „organisierte Neonazis aus möglicherweise ganz Sachsen“ beteiligt. Die große Masse habe sich aber aus dem regionalen und lokalen Umfeld rekrutiert, hauptsächlich der Fußballszene und Bürgern mit rassistischen Ressentiments, die auch teilweise als Familien gekommen seien. Er berichtet weiter: „Das Ganze hatte eine große Dynamik und auch Fluktuation bis zum Ende des Spontanaufmarsches.“

Bildquelle: Tino Schneegass

Die Stimmung kippt

Das Riesenrad erhebt sich über die Brückenstraße, die sich quer durch die Chemnitzer Innenstadt zieht und einen zentralen Schauplatz des Stadtfestes bildet. Auf den ersten Blick wirkt alles wie am Vortag. Doch die Gondeln stehen wieder still, genau wie die anderen Fahrgeschäfte, während unten neben der sich auflösenden Besuchermenge die Händler langsam zusammenpacken. Der Journalist Johannes Grunert, der unter anderem für den Zeit Online-Blog „Störungsmelder” aktiv ist und sich dort mit Rechtsextremismus auseinandersetzt, ist an diesem Tag ebenfalls vor Ort und beschreibt im Interview die Stimmung: „Die Unbeschwertheit war komplett verschwunden, die Leute waren angespannt, redeten darüber, was in der Nacht passiert war.”

Grunert ist nicht der einzige, der das wahrnimmt. Anna, 19 Jahre alt, ist mit ihrer Freundin in der Stadt, als sie spürt, wie sich die Stimmung verändert: „Es hing eine ganz heftige Spannung in der Luft, absolut keine Freude, niemand amüsierte sich. Man hat direkt diesen Umschwung gemerkt von freudigem Stadtfest, von ‚Hurra, wir sind Chemnitz‘, zu absolut keiner Freude mehr.” Das sei sehr, sehr bedrückend gewesen. Anna, die ihren vollen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen will, stammt aus Chemnitz, studiert jedoch derzeit in Dresden. Sie ist an diesem Wochenende zu Besuch bei ihrer Mutter. Die erzählt ihr dann später zu Hause von dem Gerücht, dass eine Frau belästigt worden sei und ein Mann beim Versuch, sie zu beschützen, erstochen wurde. Als Anna sich an diesem Nachmittag mit ihrer Freundin in der Stadt aufhält, weiß sie noch nicht, was sich im Zuge dieses Gerüchts im Hintergrund anbahnt. Später sollen die beiden, genau wie Johannes Grunert, Zeugen von Geschehnissen werden, die ganz Deutschland auf Chemnitz blicken lassen.

Eine Stadt im Kaos”

Blick vom Zentrum in Richtung Brückenstraße, zum nördlichen Teil des Stadtfestes. Es ist 16:30 Uhr, die Veranstaltung seit einer halben Stunde vorbei, genau wie die Gedenkminute der AfD. Doch die Stadt leert sich nicht – im Gegenteil. Vor dem Karl-Marx-Monument wächst eine Menschenmenge. Der Journalist Grunert berichtet auf Twitter, wo er auch die restlichen Geschehnisse des Tages dokumentiert, von 300 Personen am Monument. „Von den Umstehenden stellten sich viele Menschen dazu, es kamen permanent größere Gruppen, aus den 300 wurden mehrere hundert”, schildert er im Interview. Zufällig Anwesenden wie Anna ist unklar, wo und warum sich plötzlich so viele Menschen versammeln: „Wir waren richtig schockiert, woher so viele Menschen kamen, die anfangen, eine Demo loszureißen, obwohl man die Zeit doch den Leuten geben sollte, die wirklich um Daniel trauern.” Tatsächlich sind dem Aufruf der Fangruppierung Kaotic Chemnitz vom Morgen zu diesem Zeitpunkt laut Landespolizei bereits 800 Menschen gefolgt. 

Die Versammlung ist nicht angemeldet, wie aus der Redaktion vorliegenden Angaben des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) sowie des Chemnitzer Ordnungsamtes hervorgeht. Weder Versammlungsmotto noch Versammlungsleitung sind bekannt, weswegen Versammlungsbehörde und Polizei von einer Ansammlung ausgehen. Die Polizei versucht, Ansprechpartner und Verantwortliche in der Menge ausfindig zu machen, doch da setzt sie sich schon in Bewegung. „Die Polizei war mit wenigen Kräften vor Ort und versuchte verzweifelt, jemanden zu finden, der sich dafür verantwortlich zeichnet und als Anmelder fungieren könnte, was schlichtweg verweigert wurde“, beobachtete Journalist Grunert und ergänzt: „Es wurde den Beamten auch einfach das Gespräch verweigert.“

 

Info: Versammlung vs. Ansammlung

Voraussetzung für eine Versammlung ist die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck, zum Beispiel einer Kundgebung, mit dem Ziel, an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben. Die Zusammenkunft an diesem Tag wurde nicht als Versammlung angemeldet. Von Polizei und Versammlungsbehörde konnten vor Ort weder ein gemeinsames Motto (und damit kein gemeinsamer Zweck der Anwesenden) noch ein Versammlungsleiter ausfindig gemacht werden. Damit hat die Zusammenkunft die Kriterien einer Versammlung nicht erfüllt und die Behörden haben sie als Ansammlung eingestuft. Folglich gab es an diesem Tag keine Anzeigen auf Verdacht der Verletzung des Sächsischen Versammlungsgesetzes, da dieses nur bei öffentlichen Versammlungen beziehungsweise Aufzügen greift.

Diese Informationen gehen aus den Antworten des Sächsischen Innenministeriums auf die Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) hervor. Die Unterscheidung ist deswegen bedeutsam, da bei Ansammlungen nicht dieselben rechtlichen Voraussetzungen greifen wie bei Versammlungen.

Es war gar kein Schutz da”

Die Menschenmenge bewegt sich in Richtung Riesenrad (siehe Karte unten), vorbei an geschlossenen Ständen, leeren Fahrgeschäften und der nun verlassenen MDR-Bühne, hinter der die Polizei laut Medienberichten später das Tatmesser im Fall Daniel Hillig sicherstellen wird. An der nächsten Kreuzung biegt die Menge in die Theaterstraße ein. Die Polizei kann die Bewegung nicht stoppen. „Da zu diesem Zeitpunkt für die Durchführung von polizeilichen Maßnahmen nicht ausreichend Einsatzkräfte zur Verfügung standen, blieben die Versuche erfolglos, die Menschenmenge anzuhalten“, heißt es in den Antworten auf die Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) beim SMI. Nach Angaben der Polizei verlegte die Bereitschaftspolizei da bereits Einsatzkräfte von Dresden und Leipzig nach Chemnitz.

Insgesamt seien an diesem Tag nach Angaben des SMI beim Stadtfest und der späteren Demonstration 40 Beamte aus der Polizeidirektion Chemnitz, 350 aus dem Präsidium der Bereitschaftspolizei Sachsen und mindestens zehn Beamte in ziviler Kleidung im Einsatz gewesen. Anna beschreibt im Interview, dass sie sich von der Polizei nicht ausreichend geschützt gefühlt hat: „Es waren urplötzlich viele Demonstrierende in der Stadt, das war der übelste Mob sozusagen. Dazu kamen vielleicht vier, fünf Polizisten an der einen, ein paar Polizisten an der anderen Ecke und das war‘s. Man hat nicht wirklich viele Polizeiautos gesehen, sondern nur vereinzelt dastehende Personen. Es war gar kein Schutz da.“

Bereits kurz nachdem die Menge sich in Bewegung gesetzt hat, kann der Journalist Johannes Grunert Szenen wahrnehmen, wie sie an diesem Tag vermehrt in Berichten auftauchen. „Ich habe beobachtet, wie Menschen, die aussahen, als hätten sie einen Migrationshintergrund, gejagt wurden. Das ging los, als der Marsch noch auf der Theaterstraße war”, beschreibt er. Im Verlauf des Demonstrationszuges soll es zu weiteren solcher Zwischenfälle kommen, wie Zeugen und Betroffene noch schildern werden.

Das Ganze hatte eine große Dynamik”

Von der Theaterstraße aus schwenkt die Menge nun in die Innenstadt ab. In Videos dazu sind laut skandierende Stimmen zu hören: „Wir sind das Volk”, „das ist unsere Stadt”, „Ausländer raus”. In dieser Phase sollen nach Informationen der Polizei und des SMI Demonstrierende Steine und Flaschen auf Beamte geworfen haben. „Zur Abwehr dieser Angriffe setzte der Polizeivollzugsdienst Reizgas sowie den Einsatzmehrzweckstock ein. Dies bewirkte im weiteren Verlauf auch, die Bewegungsrichtung der Personengruppe weitgehend zu lenken und eine Abspaltung von Kleingruppen zu vermeiden”, teilt das SMI mit.

Doch aus welchen Gruppierungen setzte sich die Menge überhaupt zusammen? Aus der Kleinen Anfrage der Linken-Politikerin Nagel geht hervor, dass nach derzeitigem Kenntnisstand des SMI auch Mitglieder und Anhänger der Partei Der Dritte Weg anwesend waren. Außerdem wurden etwa 25 Personen in typischer Fankleidung dem Umfeld des Chemnitzer FCs und der Fangruppierung Kaotic Chemnitz zugeordnet sowie vereinzelte Personen den Fanclubs des 1. FC Lok Leipzig, des Halleschen FC, des FC Energie Cottbus, der SG Dynamo Dresden und des 1. FC Magdeburg. „Die Zahl der gewaltbereiten Teilnehmer wurde im Verlauf des Marsches durch den PVD (Polizeivollzugsdienst, Anm. d. Red.) auf insgesamt circa 50 Personen geschätzt”, heißt es weiterhin. Diese hätten in dem Aufzug den Ton angegeben, so die Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel laut der Freien Presse.

Nach Einschätzungen von Johannes Grunert waren auch Teile der rechten Bürgerbewegungen aus dem Raum Dresden sowie „organisierte Neonazis aus möglicherweise ganz Sachsen“ beteiligt. Die große Masse habe sich aber aus dem regionalen und lokalen Umfeld rekrutiert, hauptsächlich der Fußballszene und Bürgern mit rassistischen Ressentiments, die auch teilweise als Familien gekommen seien. Er berichtet weiter: „Das Ganze hatte eine große Dynamik und auch Fluktuation bis zum Ende des Spontanaufmarsches.“

Bildquelle: Detlef Müller

Der Menschenzug ist zwischenzeitlich in der Innenstadt angekommen, wo zuvor noch das Stadtfest stattgefunden hat, und zieht am Roten Turm vorbei in Richtung Bahnhofstraße. Der Journalist Johannes Grunert beschreibt im Telefoninterview weitere Szenen, wie er sie schon vorher in der Theaterstraße beobachtet hat:

Alihassan Sarfaraz, 22, und Barin Afshar, 20, sind zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in der Nähe des Johannisplatzes unterwegs. Sie wissen nichts von der Demonstration. Die beiden Afghanen kommen mit ihrer Freundin Lisa vom Stadtfest und befinden sich auf dem Weg zur Bushaltestelle, als sie die Demonstrierenden auf der anderen Straßenseite sehen. Mehrere von ihnen nähern sich der Gruppe. Einer schlägt Alihassan Sarfaraz das Handy aus der Hand und geht weiter. Sie folgen ihm, doch auf Nachfrage nach dem kaputten Handy reagiert der Mann aggressiv, es kommt zu Schlägen und Beschimpfungen. „Ihr seid nicht willkommen”, ruft jemand. Aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit wollen sie in Richtung Johannisplatz fliehen. „Wir haben gedacht, dass Lisa ja ein deutsches Mädchen ist, da wird uns gemeinsam nichts passieren. Aber einer von den Typen hat Lisa geboxt und getreten”, schildert Barin Afshar in einem Interview mit der Redaktion die Szenen. Er sei daraufhin zurückgegangen und habe, nachdem ein Polizist ihm nicht weiterhelfen konnte, einen Krankenwagen für ihre Freundin Lisa gerufen. Auf die Frage, ob jemand ihnen hätte helfen können, antwortet er: „Es waren nicht genügend Leute da, die uns geholfen hätten. Da waren zu viele Nazis. Die sind überall. Wir konnten nichts machen.” Was die beiden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die Auseinandersetzung wurde auf Video aufgenommen und wird später sowohl auf Twitter als auch in anderen Medien die Runde machen.

Als sich die Menschenmasse ihren Weg von der Zentralhaltestelle über die Bahnhofstraße zurück in Richtung Ausgangspunkt Karl-Marx-Monument bahnt, sind auch Anna und ihre Freundin anwesend und beobachten ähnliche Szenen. Ein Mann aus der Menge habe einen anderen in der Nähe der Zentralhaltestelle zu Boden geschlagen, der versucht habe, sich irgendwie wieder hochzurappeln. „Die Polizei konnte ihn dann zum Glück stoppen und der Mann konnte fliehen”, beschreibt Anna. Sie und ihre Freundin seien dann aus Angst, selbst in Streitereien zu geraten, geflüchtet.

Bildquelle: Detlef Müller

Der Menschenzug ist zwischenzeitlich in der Innenstadt angekommen, wo zuvor noch das Stadtfest stattgefunden hat, und zieht am Roten Turm vorbei in Richtung Bahnhofstraße. Der Journalist Johannes Grunert beschreibt im Telefoninterview weitere Szenen, wie er sie schon vorher in der Theaterstraße beobachtet hat:

Alihassan Sarfaraz, 22, und Barin Afshar, 20, sind zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in der Nähe des Johannisplatzes unterwegs. Sie wissen nichts von der Demonstration. Die beiden Afghanen kommen mit ihrer Freundin Lisa vom Stadtfest und befinden sich auf dem Weg zur Bushaltestelle, als sie die Demonstrierenden auf der anderen Straßenseite sehen. Mehrere von ihnen nähern sich der Gruppe. Einer schlägt Alihassan Sarfaraz das Handy aus der Hand und geht weiter. Sie folgen ihm, doch auf Nachfrage nach dem kaputten Handy reagiert der Mann aggressiv, es kommt zu Schlägen und Beschimpfungen. „Ihr seid nicht willkommen”, ruft jemand. Aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit wollen sie in Richtung Johannisplatz fliehen. „Wir haben gedacht, dass Lisa ja ein deutsches Mädchen ist, da wird uns gemeinsam nichts passieren. Aber einer von den Typen hat Lisa geboxt und getreten”, schildert Barin Afshar in einem Interview mit der Redaktion die Szenen. Er sei daraufhin zurückgegangen und habe, nachdem ein Polizist ihm nicht weiterhelfen konnte, einen Krankenwagen für ihre Freundin Lisa gerufen. Auf die Frage, ob jemand ihnen hätte helfen können, antwortet er: „Es waren nicht genügend Leute da, die uns geholfen hätten. Da waren zu viele Nazis. Die sind überall. Wir konnten nichts machen.” Was die beiden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die Auseinandersetzung wurde auf Video aufgenommen und wird später sowohl auf Twitter als auch in anderen Medien die Runde machen.

Als sich die Menschenmasse ihren Weg von der Zentralhaltestelle über die Bahnhofstraße zurück in Richtung Ausgangspunkt Karl-Marx-Monument bahnt, sind auch Anna und ihre Freundin anwesend und beobachten ähnliche Szenen. Ein Mann aus der Menge habe einen anderen in der Nähe der Zentralhaltestelle zu Boden geschlagen, der versucht habe, sich irgendwie wieder hochzurappeln. „Die Polizei konnte ihn dann zum Glück stoppen und der Mann konnte fliehen”, beschreibt Anna. Sie und ihre Freundin seien dann aus Angst, selbst in Streitereien zu geraten, geflüchtet.

Bildquelle: Johannes Grunert

Ein Ende, das erst der Anfang ist

Blick zurück zum Karl-Marx-Monument. Von der Bahnhofstraße aus biegt die Menschenmenge wieder in die Brückenstraße ein und nähert sich dem Ausgangspunkt der Ansammlung. Laut Grunert haben sich dort mittlerweile migrantische Jugendliche versammelt, der „Nischl” sei ein beliebter Treffpunkt. „Als die Rechten, die sie nicht so wirklich einschätzen konnten, weg waren, haben sie sich da hingesetzt”, erklärt der Journalist, „Dann kam die Spitze des rechten Aufmarsches zurück und mit schnellem Schritt auf sie zu und darauf hat die Polizei sie weggeschickt.” Die Menge stoppt hier und löst sich nach und nach auf. So befinden sich laut Polizei um 17:45 Uhr noch 150 Personen am Monument. Auf Twitter beendet der Journalist Grunert wenig später seine Berichterstattung: „Ich habe noch eine Runde durch die Stadt gedreht und konnte keine weiteren Ansammlungen feststellen. Die Versammlung am Karl-Marx-Monument hatte sich nahezu komplett aufgelöst.”

Alihassan Sarfaraz und Barin Afshar gehen nach dem Zwischenfall ebenfalls nach Hause, doch die Folgen wirken nach, wie die Afghanen berichten: „Wir gehen nicht mehr allein auf die Straße. Immer, wenn wir rausgehen, gehen wir zu zweit oder zu dritt. Wir kamen nach Deutschland, weil wir vor Gewalt und Krieg flüchten wollten. Wir wollen keine weitere Gewalt mehr erfahren müssen.” Stattdessen wollen die beiden ein ruhiges Leben in Deutschland führen. Barin Afshar arbeitet momentan als Mechaniker, Alihassan Sarfaraz belegt einen Deutschkurs. „In Afghanistan gibt es die Taliban, aber hier gibt es Nazis”, erklärt Barin Afshar, „man kann dort nicht sicher leben, hier aber auch nicht. Deswegen haben wir auch gesagt, dass wir in Chemnitz nicht mehr bleiben wollen.”

Es wird leiser auf den Straßen – vorerst

Nach Ende der Demonstrationen lautet das Fazit des Journalisten Johannes Grunert, der den gesamten Tag die Geschehnisse vor Ort dokumentierte: „Am 26. August 2018 war kaum sichtbare Presse vor Ort außer einige Lokalfotografen, die gewissermaßen akzeptiert sind und denen gewisser Zugang gewährt wird, da sie keine verdeckte Antifa sein können”, so der Journalist. Besonders zu den Hetzjagden überschlagen sich die Medienberichte. Das Video von Alihassan Sarfaraz und Barin Afshar, geteilt auf Twitter und unter anderem zu sehen in der Tagesschau, verbreitet sich rasend schnell. Außerdem ist es Gegenstand zahlreicher Anschuldigungen. Wie aus einigen Medienberichten hervorgeht, zweifle der damalige Verfassungsschutzpräsident Maaßen im September 2018 an der Echtheit des Videos. Kurz darauf nimmt dieser erneut Stellung zu seinen Aussagen und erklärt laut tagesschau.de, dass „die schnelle Veröffentlichung des Videos in großen Medien unseriös gewesen sei” und er somit nicht die Echtheit des Videos bestreite. Faktenchecks, wie sie unter anderem ZDF und Zeit Online zu diesem Streitpunkt durchführen, bestätigen jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit die Echtheit des Videos. Alihassan Sarfaraz und Barin Afshar haben schätzungsweise bereits über 30 Interviews gegeben: „Ich habe das Video erst gar nicht gesehen. Ein Kollege hat es mir geschickt und hat gefragt, ob ich das bin. Dann habe ich erst gemerkt, dass das gefilmt wurde. Ich habe mit niemandem gesprochen, weil ich Angst hatte.” Doch trotz der Äußerung, die an der Glaubwürdigkeit des Videos zweifelt und besonders deshalb, entscheiden sich die beiden entgegen ihrer Angst, Interviews dazu zu führen. „Warum sollten wir das sagen, wenn das Video nicht echt ist? Deswegen habe ich mit den Medien gesprochen und es allen gezeigt, wie euch”, sagt Barin Afshar im Interview mit der Redaktion.

Bei den Demonstrationen am 26. August 2018 handelt es sich um sachsenweite Mobilisierungen, zu denen sich vor allem Teilnehmer aus dem regionalen und lokalen Umfeld rekrutieren. Die Situation in der Innenstadt heizt sich schnell auf und es bleibt nicht allein bei den Demonstrationen. Menschen, die aussehen, als hätten sie migrantische Hintergründe werden über die Straßen gehetzt, beschimpft und angegriffen. Journalist Grunert äußert sich dazu: „Was ich aber mit relativ großer Sicherheit ausschließen kann, ist, dass es irgendwelche vorausgegangenen Angriffe von den späteren Betroffenen gab. Die Gewalt ging meiner Ansicht nach mit sehr großer Sicherheit eindeutig und ausschließlich von rechts aus.” Die weiter eskalierende Stimmung ist absehbar. Auch das Stadtfest wird letztendlich gegen 16 Uhr abgebrochen. Ob dieser Abbruch hätte eher stattfinden sollen, bleibt weiterhin unklar. „Es kam dann im Nachhinein raus, dass es zwar dem Vernehmen nach aus Pietätsgründen aufgrund der Tötung von Daniel H. (Hillig, Anmerkung d. Red), aber tatsächlich aus Sicherheitsbedenken aufgrund des rechten Spontanaufmarsches abgebrochen wurde”, meint Grunert.

Neben Johannes Grunert zieht auch die Polizei ihr Fazit am Abend des 26. August 2018. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen am ersten Tag der Demonstrationen werden vier Anzeigen bearbeitet. „Hierbei handelt es sich um zwei Anzeigen wegen Körperverletzung, eine Anzeige wegen Bedrohung sowie eine Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte”, schreibt die Pressesprecherin Jana Ulbricht der Polizeidirektion Chemnitz auf Anfrage der Redaktion. Wie die Polizei im März 2019 auf Anfrage der Redaktion bekannt gibt, sind in Verbindung mit den Ausschreitungen und Hetzjagden am 26. August 23 Straftaten als registriert gemeldet.

Bis heute existiert die Falschmeldung von Tag24, auf die sich vor allem rechte Gruppen bei ihren Aufrufen beziehen. Diese wurde zwar durch weitere Informationen ergänzt, jedoch nie dementiert oder gelöscht. Auch Pro Chemnitz, die sich ebenfalls auf die falsche Nachricht stützen, stellen diese ursprüngliche Information, auch nach späterem Bekanntwerden des eigentlichen Tathergangs, nie richtig. Auf Twitter teilt die sächsische Polizei öffentlich mit, dass es sich um keine Belästigung im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt handle. Die Bevölkerung solle sich nicht an den Spekulationen beteiligen.

Auch Polizeiexperte Thomas Feltes äußert sich ein Jahr danach zur Reaktion der Polizei bei den Ausschreitungen in Chemnitz. Unter anderem lehrt er als Professor für Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft an der Universität Bochum. „Die Entwicklungen der letzten Monate haben gezeigt, dass hier offensichtlich das Fingerspitzengefühl fehlt und dass man möglicherweise da auch nicht bereit ist, mit der nötigen Konsequenz intern zu reagieren.” Es komme darauf an, wie die polizeilichen Strukturen derartige Entwicklungen und Beobachtungen der rechten Szene intern einschätzen. „Es ist inzwischen hoffähig geworden, rechtsextreme und auch rechtsradikale Ansichten zu vertreten. Und damit kommen auch die aus ihren Löchern, die sich bisher vielleicht noch gescheut haben, weil sie dachten, sie wären eine Randgruppe in der Gesellschaft”, so Thomas Feltes.

 
Bildquelle: Detlef Müller

Ein Ende, das erst der Anfang ist

Blick zurück zum Karl-Marx-Monument. Von der Bahnhofstraße aus biegt die Menschenmenge wieder in die Brückenstraße ein und nähert sich dem Ausgangspunkt der Ansammlung. Laut Grunert haben sich dort mittlerweile migrantische Jugendliche versammelt, der „Nischl” sei ein beliebter Treffpunkt. „Als die Rechten, die sie nicht so wirklich einschätzen konnten, weg waren, haben sie sich da hingesetzt”, erklärt der Journalist, „Dann kam die Spitze des rechten Aufmarsches zurück und mit schnellem Schritt auf sie zu und darauf hat die Polizei sie weggeschickt.” Die Menge stoppt hier und löst sich nach und nach auf. So befinden sich laut Polizei um 17:45 Uhr noch 150 Personen am Monument. Auf Twitter beendet der Journalist Grunert wenig später seine Berichterstattung: „Ich habe noch eine Runde durch die Stadt gedreht und konnte keine weiteren Ansammlungen feststellen. Die Versammlung am Karl-Marx-Monument hatte sich nahezu komplett aufgelöst.”

Alihassan Sarfaraz und Barin Afshar gehen nach dem Zwischenfall ebenfalls nach Hause, doch die Folgen wirken nach, wie die Afghanen berichten: „Wir gehen nicht mehr allein auf die Straße. Immer, wenn wir rausgehen, gehen wir zu zweit oder zu dritt. Wir kamen nach Deutschland, weil wir vor Gewalt und Krieg flüchten wollten. Wir wollen keine weitere Gewalt mehr erfahren müssen.” Stattdessen wollen die beiden ein ruhiges Leben in Deutschland führen. Barin Afshar arbeitet momentan als Mechaniker, Alihassan Sarfaraz belegt einen Deutschkurs. „In Afghanistan gibt es die Taliban, aber hier gibt es Nazis”, erklärt Barin Afshar, „man kann dort nicht sicher leben, hier aber auch nicht. Deswegen haben wir auch gesagt, dass wir in Chemnitz nicht mehr bleiben wollen.”

Es wird leiser auf den Straßen – vorerst

Nach Ende der Demonstrationen lautet das Fazit des Journalisten Johannes Grunert, der den gesamten Tag die Geschehnisse vor Ort dokumentierte: „Am 26. August 2018 war kaum sichtbare Presse vor Ort außer einige Lokalfotografen, die gewissermaßen akzeptiert sind und denen gewisser Zugang gewährt wird, da sie keine verdeckte Antifa sein können”, so der Journalist. Besonders zu den Hetzjagden überschlagen sich die Medienberichte. Das Video von Alihassan Sarfaraz und Barin Afshar, geteilt auf Twitter und unter anderem zu sehen in der Tagesschau, verbreitet sich rasend schnell. Außerdem ist es Gegenstand zahlreicher Anschuldigungen. Wie aus einigen Medienberichten hervorgeht, zweifle der damalige Verfassungsschutzpräsident Maaßen im September 2018 an der Echtheit des Videos. Kurz darauf nimmt dieser erneut Stellung zu seinen Aussagen und erklärt laut tagesschau.de, dass „die schnelle Veröffentlichung des Videos in großen Medien unseriös gewesen sei” und er somit nicht die Echtheit des Videos bestreite. Faktenchecks, wie sie unter anderem ZDF und Zeit Online zu diesem Streitpunkt durchführen, bestätigen jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit die Echtheit des Videos. Alihassan Sarfaraz und Barin Afshar haben schätzungsweise bereits über 30 Interviews gegeben: „Ich habe das Video erst gar nicht gesehen. Ein Kollege hat es mir geschickt und hat gefragt, ob ich das bin. Dann habe ich erst gemerkt, dass das gefilmt wurde. Ich habe mit niemandem gesprochen, weil ich Angst hatte.” Doch trotz der Äußerung, die an der Glaubwürdigkeit des Videos zweifelt und besonders deshalb, entscheiden sich die beiden entgegen ihrer Angst, Interviews dazu zu führen. „Warum sollten wir das sagen, wenn das Video nicht echt ist? Deswegen habe ich mit den Medien gesprochen und es allen gezeigt, wie euch”, sagt Barin Afshar im Interview mit der Redaktion.

Bei den Demonstrationen am 26. August 2018 handelt es sich um sachsenweite Mobilisierungen, zu denen sich vor allem Teilnehmer aus dem regionalen und lokalen Umfeld rekrutieren. Die Situation in der Innenstadt heizt sich schnell auf und es bleibt nicht allein bei den Demonstrationen. Menschen, die aussehen, als hätten sie migrantische Hintergründe werden über die Straßen gehetzt, beschimpft und angegriffen. Journalist Grunert äußert sich dazu: „Was ich aber mit relativ großer Sicherheit ausschließen kann, ist, dass es irgendwelche vorausgegangenen Angriffe von den späteren Betroffenen gab. Die Gewalt ging meiner Ansicht nach mit sehr großer Sicherheit eindeutig und ausschließlich von rechts aus.” Die weiter eskalierende Stimmung ist absehbar. Auch das Stadtfest wird letztendlich gegen 16 Uhr abgebrochen. Ob dieser Abbruch hätte eher stattfinden sollen, bleibt weiterhin unklar. „Es kam dann im Nachhinein raus, dass es zwar dem Vernehmen nach aus Pietätsgründen aufgrund der Tötung von Daniel H. (Hillig, Anmerkung d. Red), aber tatsächlich aus Sicherheitsbedenken aufgrund des rechten Spontanaufmarsches abgebrochen wurde”, meint Grunert.

Neben Johannes Grunert zieht auch die Polizei ihr Fazit am Abend des 26. August 2018. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen am ersten Tag der Demonstrationen werden vier Anzeigen bearbeitet. „Hierbei handelt es sich um zwei Anzeigen wegen Körperverletzung, eine Anzeige wegen Bedrohung sowie eine Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte”, schreibt die Pressesprecherin Jana Ulbricht der Polizeidirektion Chemnitz auf Anfrage der Redaktion. Wie die Polizei im März 2019 auf Anfrage der Redaktion bekannt gibt, sind in Verbindung mit den Ausschreitungen und Hetzjagden am 26. August 23 Straftaten als registriert gemeldet.

Bis heute existiert die Falschmeldung von Tag24, auf die sich vor allem rechte Gruppen bei ihren Aufrufen beziehen. Diese wurde zwar durch weitere Informationen ergänzt, jedoch nie dementiert oder gelöscht. Auch Pro Chemnitz, die sich ebenfalls auf die falsche Nachricht stützen, stellen diese ursprüngliche Information, auch nach späterem Bekanntwerden des eigentlichen Tathergangs, nie richtig. Auf Twitter teilt die sächsische Polizei öffentlich mit, dass es sich um keine Belästigung im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt handle. Die Bevölkerung solle sich nicht an den Spekulationen beteiligen.

Auch Polizeiexperte Thomas Feltes äußert sich ein Jahr danach zur Reaktion der Polizei bei den Ausschreitungen in Chemnitz. Unter anderem lehrt er als Professor für Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft an der Universität Bochum. „Die Entwicklungen der letzten Monate haben gezeigt, dass hier offensichtlich das Fingerspitzengefühl fehlt und dass man möglicherweise da auch nicht bereit ist, mit der nötigen Konsequenz intern zu reagieren.” Es komme darauf an, wie die polizeilichen Strukturen derartige Entwicklungen und Beobachtungen der rechten Szene intern einschätzen. „Es ist inzwischen hoffähig geworden, rechtsextreme und auch rechtsradikale Ansichten zu vertreten. Und damit kommen auch die aus ihren Löchern, die sich bisher vielleicht noch gescheut haben, weil sie dachten, sie wären eine Randgruppe in der Gesellschaft”, so Thomas Feltes.

Bildquelle: Detlef Müller

Auf den Straßen der Chemnitzer Innenstadt wird es am Abend des 26. Augusts 2018 zunächst stiller. Laut Medieninformation der Polizei Sachsen, die noch am gleichen Abend veröffentlicht wird, sei die polizeiliche Präsenz im Stadtgebiet sicher. Doch die nächsten Demonstrationen und Versammlungen für den Folgetag werden parallel schon geplant: Pro Chemnitz mobilisiert zur Demonstration in der Chemnitzer Innenstadt am Folgetag, mit der Motivation „gemeinsam ein Zeichen setzen“ zu wollen. Bereits um 11:36 Uhr appelliert der vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Verein Pro Chemnitz damit, „dem tapferen Helfer die letzte Ehre erweisen” zu wollen. Bis heute wurde der Beitrag auf Facebook rund 3.013 Mal geteilt und hat 396 Kommentare.

Die Demonstration wird als einzige offiziell für den 27. August 2018 angemeldet und von der Stadt Chemnitz genehmigt, wie die Stadt auf Anfrage der Redaktion mitteilt. Allerdings ist diese Gruppierung nicht die Einzige, die in der Nacht bereits Pläne schmiedet. Über die sozialen Netzwerke treiben weitere Mitglieder der rechten Szene unter dem Namen Tag der deutschen Zukunft einen Aufmarsch für den nächsten Tag an. So zeichnen sich schon zu diesem Zeitpunkt die ersten Folgen in Bezug auf die Mobilisierung am nächsten Tag ab.

Die Lage in Chemnitz sollte noch schlimmer eskalieren.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Auf den Straßen der Chemnitzer Innenstadt wird es am Abend des 26. Augusts 2018 zunächst stiller. Laut Medieninformation der Polizei Sachsen, die noch am gleichen Abend veröffentlicht wird, sei die polizeiliche Präsenz im Stadtgebiet sicher. Doch die nächsten Demonstrationen und Versammlungen für den Folgetag werden parallel schon geplant: Pro Chemnitz mobilisiert zur Demonstration in der Chemnitzer Innenstadt am Folgetag, mit der Motivation „gemeinsam ein Zeichen setzen“ zu wollen. Bereits um 11:36 Uhr appelliert der vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Verein Pro Chemnitz damit, „dem tapferen Helfer die letzte Ehre erweisen” zu wollen. Bis heute wurde der Beitrag auf Facebook rund 3.013 Mal geteilt und hat 396 Kommentare.

Die Demonstration wird als einzige offiziell für den 27. August 2018 angemeldet und von der Stadt Chemnitz genehmigt, wie die Stadt auf Anfrage der Redaktion mitteilt. Allerdings ist diese Gruppierung nicht die Einzige, die in der Nacht bereits Pläne schmiedet. Über die sozialen Netzwerke treiben weitere Mitglieder der rechten Szene unter dem Namen Tag der deutschen Zukunft einen Aufmarsch für den nächsten Tag an. So zeichnen sich schon zu diesem Zeitpunkt die ersten Folgen in Bezug auf die Mobilisierung am nächsten Tag ab.

Die Lage in Chemnitz sollte noch schlimmer eskalieren.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018