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Die Eskalation

Bildquelle: Tino Schneegass

Die Eskalation

Bildquelle: Tino Schneegass

Stimmungsmache über Social Media

Chemnitz am Tag nach dem ersten Sturm. Es ist Montag, eine neue Arbeitswoche beginnt. Der Alltag hat Chemnitz wieder, die Stadt kommt augenscheinlich zur Ruhe – aber die Medienwelt überschlägt sich. Besonders in den sozialen Netzwerken laufen die Kommentarspalten heiß. Der Twitter-Account Antifa Zeckenbiss teilt das Video von Barin Afshar und Alihassan Sarfaraz. Es zeigt, wie ausländisch aussehende Bürger verfolgt und beschimpft werden: „Kanaken”, „Fotzen”, „Ihr seid nicht willkommen”. Das Video wird als „Hase, du bleibst hier”-Clip im Netz bekannt und hat inzwischen über 400.000 Aufrufe. Die Polizei kommentiert schon am Montag, dass sie wegen eines gezeigten Hitlergrußes in dem Video ermitteln. Später wird es, wie die Polizeidirektion Chemnitz der Redaktion auf Nachfrage mitteilt, Ermittlungen im Verdacht der Nötigung und Körperverletzung geben. Nicht nur auf Twitter, sondern auch auf Facebook sind die Kommentare voll mit gegenseitigen Vorwürfen, Beleidigungen und Hasskommentaren der rechten und linken Szene: „Macht endlich eure Augen auf, ihr #Gutbürger!!!”, „Die Trauer steht denen ins Gesicht geschrieben auf ihrem Marsch gegen Gewalt. #fcknazis”. Außerdem werden Demoaufrufe unter anderem von Pro Chemnitz und des Bündnisses Chemnitz Nazifrei geteilt.

Die Polizei hat schon am Vortag, als sie das unter anderem von Tag24 verbreitete Gerücht einer belästigten Frau dementiert, auf Twitter dazu aufgerufen, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen. In einer Pressekonferenz am Montagnachmittag, die im weiteren Verlauf noch sehr wichtig werden wird, ruft auch der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) dazu auf, sich anhand von offiziellen Quellen zu informieren. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass im Netz Fehlinformationen, Gerüchte, Spekulationen bis hin zu Lügen die Runde machen”, erklärt er, wie man einer Aufzeichnung der Konferenz durch die ARD entnehmen kann. Dennoch machen, wie auch tagesschau.de berichtet, weitere Gerüchte die Runde, unter anderem von einem zweiten Todesopfer. Die Polizei dementiert auch das auf Twitter. Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen, der in der Fachstelle Jugendhilfe am Standort Dresden arbeitet, schätzt die Bedeutung dieser Gerüchte im Interview ein: „Da waren die schnellen Veröffentlichungen über mutmaßliche Täter, mutmaßliche Tatereignisse und mutmaßliche Strafverfolgungen. Es wurde ständig ein neues Gerücht aus jeder kleinen Information gemacht.” Die stark eskalierende Wirkung bestimmter Gerüchte habe dazu beigetragen, dass Menschen an solchen Aufmärschen und Demonstrationen teilnehmen. Man fühle sich aufgerufen, „zu sagen, dass man sich in Aufruhr befindet und dringend was unternehmen will – gegen welche Zustände auch immer.”

Nicht nur die Stimmung in den Kommentarspalten der Sächsischen Polizei auf Twitter ist aufgeheizt, wie Journalist Johannes Grunert berichtet. Die Aufrufe zu den Demonstrationen am Abend machen vor allem auf Facebook die Runde. Der Aufruf von Pro Chemnitz wird bis heute über 3.000 Mal geteilt. Auch andere rechte Gruppierungen beteiligen sich, beispielsweise der „Tag der Deutschen Zukunft”. „Die rechte Bubble auf Facebook war voll damit, die bundesweite Rechte wusste Bescheid und war bereit, auch in Chemnitz den Aufstand zu proben“, sagt Grunert im Interview, „Diese Stimmung, dass dort sowas wie eine Revolution abgeht, hat auch nochmal massiv mobilisiert.“ Man habe am Vortag bereits sehen können, dass es möglich sei, unbescholten von der Polizei durch eine Innenstadt zu ziehen und die Leute jagen und verletzen zu können, die man verletzen möchte. Am vorherigen Tag spielte vor allem der Aufruf der Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz eine Rolle und auch am Montag haben sie die Finger im Spiel – und viele Fäden in der Hand.

Bildquelle: Tino Schneegass

Stimmungsmache über Social Media

Chemnitz am Tag nach dem ersten Sturm. Es ist Montag, eine neue Arbeitswoche beginnt. Der Alltag hat Chemnitz wieder, die Stadt kommt augenscheinlich zur Ruhe – aber die Medienwelt überschlägt sich. Besonders in den sozialen Netzwerken laufen die Kommentarspalten heiß. Der Twitter-Account Antifa Zeckenbiss teilt das Video von Barin Afshar und Alihassan Sarfaraz. Es zeigt, wie ausländisch aussehende Bürger verfolgt und beschimpft werden: „Kanaken”, „Fotzen”, „Ihr seid nicht willkommen”. Das Video wird als „Hase, du bleibst hier”-Clip im Netz bekannt und hat inzwischen über 400.000 Aufrufe. Die Polizei kommentiert schon am Montag, dass sie wegen eines gezeigten Hitlergrußes in dem Video ermitteln. Später wird es, wie die Polizeidirektion Chemnitz der Redaktion auf Nachfrage mitteilt, Ermittlungen im Verdacht der Nötigung und Körperverletzung geben. Nicht nur auf Twitter, sondern auch auf Facebook sind die Kommentare voll mit gegenseitigen Vorwürfen, Beleidigungen und Hasskommentaren der rechten und linken Szene: „Macht endlich eure Augen auf, ihr #Gutbürger!!!”, „Die Trauer steht denen ins Gesicht geschrieben auf ihrem Marsch gegen Gewalt. #fcknazis”. Außerdem werden Demoaufrufe unter anderem von Pro Chemnitz und des Bündnisses Chemnitz Nazifrei geteilt.

Die Polizei hat schon am Vortag, als sie das unter anderem von Tag24 verbreitete Gerücht einer belästigten Frau dementiert, auf Twitter dazu aufgerufen, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen. In einer Pressekonferenz am Montagnachmittag, die im weiteren Verlauf noch sehr wichtig werden wird, ruft auch der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) dazu auf, sich anhand von offiziellen Quellen zu informieren. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass im Netz Fehlinformationen, Gerüchte, Spekulationen bis hin zu Lügen die Runde machen”, erklärt er, wie man einer Aufzeichnung der Konferenz durch die ARD entnehmen kann. Dennoch machen, wie auch tagesschau.de berichtet, weitere Gerüchte die Runde, unter anderem von einem zweiten Todesopfer. Die Polizei dementiert auch das auf Twitter. Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen, der in der Fachstelle Jugendhilfe am Standort Dresden arbeitet, schätzt die Bedeutung dieser Gerüchte im Interview ein: „Da waren die schnellen Veröffentlichungen über mutmaßliche Täter, mutmaßliche Tatereignisse und mutmaßliche Strafverfolgungen. Es wurde ständig ein neues Gerücht aus jeder kleinen Information gemacht.” Die stark eskalierende Wirkung bestimmter Gerüchte habe dazu beigetragen, dass Menschen an solchen Aufmärschen und Demonstrationen teilnehmen. Man fühle sich aufgerufen, „zu sagen, dass man sich in Aufruhr befindet und dringend was unternehmen will – gegen welche Zustände auch immer.”

Nicht nur die Stimmung in den Kommentarspalten der Sächsischen Polizei auf Twitter ist aufgeheizt, wie Journalist Johannes Grunert berichtet. Die Aufrufe zu den Demonstrationen am Abend machen vor allem auf Facebook die Runde. Der Aufruf von Pro Chemnitz wird bis heute über 3.000 Mal geteilt. Auch andere rechte Gruppierungen beteiligen sich, beispielsweise der „Tag der Deutschen Zukunft”. „Die rechte Bubble auf Facebook war voll damit, die bundesweite Rechte wusste Bescheid und war bereit, auch in Chemnitz den Aufstand zu proben“, sagt Grunert im Interview, „Diese Stimmung, dass dort sowas wie eine Revolution abgeht, hat auch nochmal massiv mobilisiert.“ Man habe am Vortag bereits sehen können, dass es möglich sei, unbescholten von der Polizei durch eine Innenstadt zu ziehen und die Leute jagen und verletzen zu können, die man verletzen möchte. Am vorherigen Tag spielte vor allem der Aufruf der Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz eine Rolle und auch am Montag haben sie die Finger im Spiel – und viele Fäden in der Hand.

Bildquelle: Johannes Grunert

Anne Gehrmann von der mobilen Beratungsstelle des Kulturbüros Sachsen beschreibt, wie man sich die Verbindungen unterschiedlicher Fan-Gruppierungen vorstellen kann: „Da gibt es Hool-Freundschaften, die über längere Zeiträume bestehen und bei denen man einen gewissen Konsens teilt.” Sei es, dass es eine Form von Gewaltförmigkeit bei Auseinandersetzungen oder einen gewissen rassistischen Grundtenor an einigen Stellen brauche. Natürlich seien aber nicht alle Fans Hooligans oder Rechte. 

Steven Seiffert erklärt im Interview die Gründe für die schnelle Mobilisierung am Montag und macht das auch am Einfluss der Vereinigung fest.

Nicht nur Kaotic Chemnitz mobilisiert seine Anhänger. „Was uns aufgefallen ist, ist dass tatsächlich auch Vereine aus der Chemnitzer Umgebung mit aufgerufen hatten und dort auch offensichtlich die Veranstaltungsorganisation mit innehatten”, schildert Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen. „Hools haben eine Rolle gespielt, gerade was die Gewalt am Montag betrifft”, bestätigt auch Gehrmanns Kollege Steven Seiffert und ergänzt: „Gleichzeitig waren unheimlich viele andere Angehörige anderer Organisationen trotzdem auf der Straße. Von diversen rechten Parteien – wenn auch ohne Flagge – und auch von rechten Vereinen waren Leute da.” Was letztendlich auf der Straße los sei, gehe weit über die Hooligans hinaus. Diese Beobachtung wird sich später auch in der Zusammensetzung der Demonstrationen widerspiegeln.

Bildquelle: Johannes Grunert

Anne Gehrmann von der mobilen Beratungsstelle des Kulturbüros Sachsen beschreibt, wie man sich die Verbindungen unterschiedlicher Fan-Gruppierungen vorstellen kann: „Da gibt es Hool-Freundschaften, die über längere Zeiträume bestehen und bei denen man einen gewissen Konsens teilt.” Sei es, dass es eine Form von Gewaltförmigkeit bei Auseinandersetzungen oder einen gewissen rassistischen Grundtenor an einigen Stellen brauche. Natürlich seien aber nicht alle Fans Hooligans oder Rechte. 

Steven Seiffert erklärt im Interview die Gründe für die schnelle Mobilisierung am Montag und macht das auch am Einfluss der Vereinigung fest.

Nicht nur Kaotic Chemnitz mobilisiert seine Anhänger. „Was uns aufgefallen ist, ist dass tatsächlich auch Vereine aus der Chemnitzer Umgebung mit aufgerufen hatten und dort auch offensichtlich die Veranstaltungsorganisation mit innehatten”, schildert Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen. „Hools haben eine Rolle gespielt, gerade was die Gewalt am Montag betrifft”, bestätigt auch Gehrmanns Kollege Steven Seiffert und ergänzt: „Gleichzeitig waren unheimlich viele andere Angehörige anderer Organisationen trotzdem auf der Straße. Von diversen rechten Parteien – wenn auch ohne Flagge – und auch von rechten Vereinen waren Leute da.” Was letztendlich auf der Straße los sei, gehe weit über die Hooligans hinaus. Diese Beobachtung wird sich später auch in der Zusammensetzung der Demonstrationen widerspiegeln.

Bildquelle: Johannes Grunert

„Wir sind auf die Einsatzlage gut vorbereitet”

Es ist 16.30 Uhr. Eine halbe Stunde vorher hat die Stadt die beiden angemeldeten Demonstrationen genehmigt. Nun sprechen der Sächsische Innenminister Roland Wöller, Bürgermeisterin Barbara Ludwig, Christine Mügge von der Staatsanwaltschaft Chemnitz und die Präsidentin der Polizei Sachsen Sonja Penzel zur Presse. Es bleibt nur wenig Zeit für Fragen, bald sollen die Demonstrationen beginnen. Mügge bestätigt, dass die am Morgen beantragten Haftbefehle gegen zwei Verdächtige im Fall Daniel Hillig wegen gemeinschaftlichen Totschlags erlassen worden sind. Es handelt sich um den Iraker Youssif Abdullah und den Syrer Alaa Sheikhi, wie sich später herausstellen wird. Die Veröffentlichung einer dieser Haftbefehle wird später noch für einen Skandal sorgen, der die sozialen Medien und Behörden in Atem hält. Es zeigt einmal mehr, dass weder Polizei noch Politik bestimmen, welche Informationen verbreitet werden.

Während Bürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) den Angehörigen des Opfers ihr Beileid ausspricht, findet Innenminister Roland Wöller (CDU) klare Worte, wie die Aufzeichnung der Pressekonferenz der ARD zeigt: „Es ist wichtig, dass Chemnitz und der Freistaat Sachsen deutlich macht, durch die Präsenz, dass wir Gewalttätern und Chaoten nicht die Straße überlassen werden, sondern hier den Rechtsstaat durchsetzen.” Auf Nachfrage nach der polizeilichen Planung für die Demonstrationen am Abend antwortet Polizeipräsidentin Sonja Penzel zuversichtlich: „Wir sind auf die Einsatzlage heute Abend gut vorbereitet. Wir haben ausreichend Kräfte angefordert.” Die Polizei würde nicht zulassen, dass Chaoten diese Stadt für ihre Zwecke vereinnahmen können. An dieser Zusicherung wird sie sich später messen lassen müssen.

Die Demonstrationen der Veranstalter Pro Chemnitz sowie Chemnitz Nazifrei sind mit insgesamt 1.500 Teilnehmern für den Abend angemeldet. Laut Antwort des Sächsischen Innenministeriums auf die Kleine Anfrage der sächsischen Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) habe man sich auf die doppelte Anzahl, also 3.000 Teilnehmende, vorbereitet. Womit noch keiner rechnet: Beide Zahlen sollen sich als grobe Fehleinschätzungen erweisen. Detlef Müller (SPD), Mitglied des Bundestages sowie des Chemnitzer Stadtrates, rekapituliert im Interview: „Nach der Pressekonferenz der Polizei am Montag war klar, dass am Abend Demos stattfinden werden: Die Rechten am Karl-Marx Kopf und im Stadtpark (auf der anderen Seite, Anm. d Red.) wir, also ein linkes Bündnis. Die Polizei sagte, sie werde alles auffahren, was geht, um die Veranstaltung sicher durchführen zu können. Wo sie alles zeigen wollten, was sie haben – was aber im Endeffekt nicht da war. Sie waren völlig unterbesetzt.” Müller selbst wird später noch Zeuge der Eskalation werden, die bald über Chemnitz hereinbrechen wird.

Bildquelle: Detlef Müller

„Wir sind auf die Einsatzlage gut vorbereitet”

Es ist 16.30 Uhr. Eine halbe Stunde vorher hat die Stadt die beiden angemeldeten Demonstrationen genehmigt. Nun sprechen der Sächsische Innenminister Roland Wöller, Bürgermeisterin Barbara Ludwig, Christine Mügge von der Staatsanwaltschaft Chemnitz und die Präsidentin der Polizei Sachsen Sonja Penzel zur Presse. Es bleibt nur wenig Zeit für Fragen, bald sollen die Demonstrationen beginnen. Mügge bestätigt, dass die am Morgen beantragten Haftbefehle gegen zwei Verdächtige im Fall Daniel Hillig wegen gemeinschaftlichen Totschlags erlassen worden sind. Es handelt sich um den Iraker Youssif Abdullah und den Syrer Alaa Sheikhi, wie sich später herausstellen wird. Die Veröffentlichung einer dieser Haftbefehle wird später noch für einen Skandal sorgen, der die sozialen Medien und Behörden in Atem hält. Es zeigt einmal mehr, dass weder Polizei noch Politik bestimmen, welche Informationen verbreitet werden.

Während Bürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) den Angehörigen des Opfers ihr Beileid ausspricht, findet Innenminister Roland Wöller (CDU) klare Worte, wie die Aufzeichnung der Pressekonferenz der ARD zeigt: „Es ist wichtig, dass Chemnitz und der Freistaat Sachsen deutlich macht, durch die Präsenz, dass wir Gewalttätern und Chaoten nicht die Straße überlassen werden, sondern hier den Rechtsstaat durchsetzen.” Auf Nachfrage nach der polizeilichen Planung für die Demonstrationen am Abend antwortet Polizeipräsidentin Sonja Penzel zuversichtlich: „Wir sind auf die Einsatzlage heute Abend gut vorbereitet. Wir haben ausreichend Kräfte angefordert.” Die Polizei würde nicht zulassen, dass Chaoten diese Stadt für ihre Zwecke vereinnahmen können. An dieser Zusicherung wird sie sich später messen lassen müssen.

Die Demonstrationen der Veranstalter Pro Chemnitz sowie Chemnitz Nazifrei sind mit insgesamt 1.500 Teilnehmern für den Abend angemeldet. Laut Antwort des Sächsischen Innenministeriums auf die Kleine Anfrage der sächsischen Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) habe man sich auf die doppelte Anzahl, also 3.000 Teilnehmende, vorbereitet. Womit noch keiner rechnet: Beide Zahlen sollen sich als grobe Fehleinschätzungen erweisen. Detlef Müller (SPD), Mitglied des Bundestages sowie des Chemnitzer Stadtrates, rekapituliert im Interview: „Nach der Pressekonferenz der Polizei am Montag war klar, dass am Abend Demos stattfinden werden: Die Rechten am Karl-Marx Kopf und im Stadtpark (auf der anderen Seite, Anm. d Red.) wir, also ein linkes Bündnis. Die Polizei sagte, sie werde alles auffahren, was geht, um die Veranstaltung sicher durchführen zu können. Wo sie alles zeigen wollten, was sie haben – was aber im Endeffekt nicht da war. Sie waren völlig unterbesetzt.” Müller selbst wird später noch Zeuge der Eskalation werden, die bald über Chemnitz hereinbrechen wird.

Bildquelle: Detlef Müller

Es herrscht noch Ruhe in der Chemnitzer Innenstadt. Die Brückenstraße, die letzten Tage noch gefüllt von Besuchern des Stadtfestes, bleibt auch nach Ende des Events zunächst weiter gesperrt. Der Grund: Die zwei Demonstrationen, die die Stadt im Laufe des Nachmittags genehmigt hat, treffen wenig später hier aufeinander. Die Teilnehmer der Demonstration von Pro Chemnitz versammeln sich vor dem Karl-Marx-Monument – eine Szene, die vom Vortag bereits bekannt ist. Das Motto? „Sicherheit für Chemnitz”. Bereits eine Stunde vor dem Start bringen die Organisatoren laut MDR ein Transparent an mit einem Vers des Erzgebirgsdichters Anton Günther: „Deitsch un’ frei woll’n mer sei!”. Die Demonstration ist für 18:30 Uhr angesetzt.

Dieses Mal sind die rechten Demonstrierenden nicht die einzigen in der Stadt. Vor dem Stadthallenpark, auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Karl-Marx-Monumentes, haben sich die Teilnehmer der zweiten Demonstration versammelt, angemeldet von Die Linke Chemnitz. Ihr Motto: „Nein zu Rassismus und Gewalt”. Bis 18:00 Uhr ist die Menge laut MDR auf um die 1.000 Menschen angewachsen. Zu diesem Zeitpunkt kommt es laut Polizei bereits zu ersten Störungen, noch bevor die Demonstration von Pro Chemnitz begonnen hat. Linke Demonstrationsteilnehmer wollen das Transparent mit dem Spruch Anton Günthers entfernen. Rechte Demonstranten rufen verfassungsfeindliche Parolen, zeigen Hitlergrüße, von denen laut Zeit Online insgesamt zehn kurze Zeit später zur Anzeige gebracht werden sollen.

Steven Seiffert vom mobilen Beratungsteam in Chemnitz empfand das Geschehen als “unheimlich bedrohlich”: Ich fand, es war eine sehr gruselige Stimmung in der Stadt.” Seiffert sei am Montag auch vor Ort gewesen, um sich ein Bild von der Pro Chemnitz-Demo zu machen. „Da war ein deutliches Bedrohungsszenario, was da aufgebaut worden ist”, beschreibt er im Interview. Die Stimmung heizt sich weiter auf, die Demonstrierenden am Karl-Marx-Monument wollen, wie angekündigt und angemeldet, durch die Straßen ziehen.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Es herrscht noch Ruhe in der Chemnitzer Innenstadt. Die Brückenstraße, die letzten Tage noch gefüllt von Besuchern des Stadtfestes, bleibt auch nach Ende des Events zunächst weiter gesperrt. Der Grund: Die zwei Demonstrationen, die die Stadt im Laufe des Nachmittags genehmigt hat, treffen wenig später hier aufeinander. Die Teilnehmer der Demonstration von Pro Chemnitz versammeln sich vor dem Karl-Marx-Monument – eine Szene, die vom Vortag bereits bekannt ist. Das Motto? „Sicherheit für Chemnitz”. Bereits eine Stunde vor dem Start bringen die Organisatoren laut MDR ein Transparent an mit einem Vers des Erzgebirgsdichters Anton Günther: „Deitsch un’ frei woll’n mer sei!”. Die Demonstration ist für 18:30 Uhr angesetzt.

Dieses Mal sind die rechten Demonstrierenden nicht die einzigen in der Stadt. Vor dem Stadthallenpark, auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Karl-Marx-Monumentes, haben sich die Teilnehmer der zweiten Demonstration versammelt, angemeldet von Die Linke Chemnitz. Ihr Motto: „Nein zu Rassismus und Gewalt”. Bis 18:00 Uhr ist die Menge laut MDR auf um die 1.000 Menschen angewachsen. Zu diesem Zeitpunkt kommt es laut Polizei bereits zu ersten Störungen, noch bevor die Demonstration von Pro Chemnitz begonnen hat. Linke Demonstrationsteilnehmer wollen das Transparent mit dem Spruch Anton Günthers entfernen. Rechte Demonstranten rufen verfassungsfeindliche Parolen, zeigen Hitlergrüße, von denen laut Zeit Online insgesamt zehn kurze Zeit später zur Anzeige gebracht werden sollen.

Steven Seiffert vom mobilen Beratungsteam in Chemnitz empfand das Geschehen als “unheimlich bedrohlich”: Ich fand, es war eine sehr gruselige Stimmung in der Stadt.” Seiffert sei am Montag auch vor Ort gewesen, um sich ein Bild von der Pro Chemnitz-Demo zu machen. „Da war ein deutliches Bedrohungsszenario, was da aufgebaut worden ist”, beschreibt er im Interview. Die Stimmung heizt sich weiter auf, die Demonstrierenden am Karl-Marx-Monument wollen, wie angekündigt und angemeldet, durch die Straßen ziehen.

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Zwischen Selbstjustiz und Selbstschutz

Der geplante Marsch des rechten Lagers verzögert sich. Um die Zeit zu überbrücken, werden Reden gehalten. Pro Chemnitz-Chef Martin Kohlmann persönlich spricht zu den Teilnehmern über die Situation am Vortag, wie in einem Beitrag der ARD zu sehen ist: „Das was gestern hier passiert ist, war keine Selbstjustiz, das war Selbstverteidigung.“ Es folgt Applaus. „Und diese Selbstverteidigung ist erlaubt, richtig und notwendig.“ Martin Kohlmann sitzt im Chemnitzer Stadtrat, ist außerdem Anwalt und vertritt laut Freie Presse neben verurteilten Neonazis wie einen Angeklagten der Terrorgruppe Freital auch abgelehnte Asylbewerber vor Gericht. Dass seine Reden nicht nur bei extrem Rechten gut ankommen, bestätigt auch Steven Seiffert vom Kulturbüro Sachsen: „An dem Montag war definitiv zu beobachten dass genau diese nicht klar neonazistischen Bürger dabei waren, aber gleichzeitig trotzdem bei den krassesten Stellen von Kohlmanns Rede total euphorisch geklatscht haben, wenn er implizit zu revolutionären Zuständen aufgerufen hat.” Das zeige auch, dass die Inhalte geteilt würden. An diesem Tag erntet Kohlmann ebenfalls Beifall mit Aussagen wie: „Die nächste Wende muss erheblich gründlicher werden.“ Die Menge skandiert: „Ausmisten! Ausmisten!”

Unterdessen wird die Demonstration immer größer: Aus 1.500 angemeldeten Personen werden die 3.000, auf die die Polizei sich eingestellt hat. Doch die Menge des rechten Lagers soll noch bis auf das doppelte anwachsen. Rund 6.000 Menschen sind vor dem Karl-Marx-Monument versammelt. Dazu kommen die insgesamt rund 1.500 linken Gegendemonstranten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Polizei, samt zwei Polizeihubschraubern, trennt die beiden Lager mit Absperrungen und Fahrzeugketten. Doch die Stimmung heizt sich auf. Nach Angaben der Polizei kommt es gegen 19:40 Uhr zum Einsatz von Pyrotechnik. Demonstranten beider Lager bewerfen sich gegenseitig mit Flaschen. Erst durch das Vorfahren von Wasserwerfern, kann die Situation, laut Polizei unter Kontrolle gebracht werden. Der Politiker Detlef Müller, an diesem Tag ebenfalls Teilnehmer an der linken Gegendemonstration, erlebt, wie Flaschen und Steine in seine Richtung fliegen. Man bekomme Angst, wisse nicht, was passiert, und denke zunächst an Selbstschutz. Im Interview beschreibt er die Szenen:

Bildquelle: Johannes Grunert

Zwischen Selbstjustiz und Selbstschutz

Der geplante Marsch des rechten Lagers verzögert sich. Um die Zeit zu überbrücken, werden Reden gehalten. Pro Chemnitz-Chef Martin Kohlmann persönlich spricht zu den Teilnehmern über die Situation am Vortag, wie in einem Beitrag der ARD zu sehen ist: „Das was gestern hier passiert ist, war keine Selbstjustiz, das war Selbstverteidigung.“ Es folgt Applaus. „Und diese Selbstverteidigung ist erlaubt, richtig und notwendig.“ Martin Kohlmann sitzt im Chemnitzer Stadtrat, ist außerdem Anwalt und vertritt laut Freie Presse neben verurteilten Neonazis wie einen Angeklagten der Terrorgruppe Freital auch abgelehnte Asylbewerber vor Gericht. Dass seine Reden nicht nur bei extrem Rechten gut ankommen, bestätigt auch Steven Seiffert vom Kulturbüro Sachsen: „An dem Montag war definitiv zu beobachten dass genau diese nicht klar neonazistischen Bürger dabei waren, aber gleichzeitig trotzdem bei den krassesten Stellen von Kohlmanns Rede total euphorisch geklatscht haben, wenn er implizit zu revolutionären Zuständen aufgerufen hat.” Das zeige auch, dass die Inhalte geteilt würden. An diesem Tag erntet Kohlmann ebenfalls Beifall mit Aussagen wie: „Die nächste Wende muss erheblich gründlicher werden.“ Die Menge skandiert: „Ausmisten! Ausmisten!” Unterdessen wird die Demonstration immer größer: Aus 1.500 angemeldeten Personen werden die 3.000, auf die die Polizei sich eingestellt hat. Doch die Menge des rechten Lagers soll noch bis auf das doppelte anwachsen. Rund 6.000 Menschen sind vor dem Karl-Marx-Monument versammelt. Dazu kommen die insgesamt rund 1.500 linken Gegendemonstranten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Polizei, samt zwei Polizeihubschraubern, trennt die beiden Lager mit Absperrungen und Fahrzeugketten. Doch die Stimmung heizt sich auf. Nach Angaben der Polizei kommt es gegen 19:40 Uhr zum Einsatz von Pyrotechnik. Demonstranten beider Lager bewerfen sich gegenseitig mit Flaschen. Erst durch das Vorfahren von Wasserwerfern, kann die Situation, laut Polizei unter Kontrolle gebracht werden. Der Politiker Detlef Müller, an diesem Tag ebenfalls Teilnehmer an der linken Gegendemonstration, erlebt, wie Flaschen und Steine in seine Richtung fliegen. Man bekomme Angst, wisse nicht, was passiert, und denke zunächst an Selbstschutz. Im Interview beschreibt er die Szenen:

 
Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Im Gegensatz zum Vortag waren zudem viele Journalisten vor Ort. Johannes Grunert, ebenfalls Journalist, berichtet im Interview von Angriffen, von denen auch er selbst betroffen war:

Die Zusammensetzung der rechten Demonstration unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich zum Montag: Im Gegensatz zu Johannes Grunerts Einschätzung, dass am Sonntag die Teilnehmenden hauptsächlich aus dem regionalen Umfeld stammten, kommen an diesem Tag viele Demonstrierende auch aus anderen Bundesländern angereist. „Während der Anreisephase war festzustellen, dass insbesondere die Versammlung der Bürgerbewegung Pro Chemnitz regen Zulauf von Teilnehmern aus Berlin, Brandenburg, Thüringen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bekam“, bestätigt die Medieninformation der Polizei. Unter ihnen seien einige gewesen, die dem rechten Spektrum und der gewaltbereiten Fußballszene zuzuordnen wären. 

Weiterhin beschreibt das Innenministerium in Antwort auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) die Zusammensetzung der Demonstration wie folgt: „An der Demonstration am 27. August 2018 beteiligten sich nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch Vertreter der parteiungebundenen sowie der parteigebundenen rechtsextremistischen Szene, darunter Mitglieder und Anhänger der Partei „Der Dritte Weg”, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, der Jungen Nationalen, der Partei „Die Rechte”, einzelne Neonationalsozialisten sowie Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene.“ Man habe in der Versammlung Fans der Fußballvereine Energie Cottbus, Rot Weiß Erfurt, LOK Leipzig, FC Wismut Aue und des Chemnitzer FCs feststellen können.

Doch trotz der unterschiedlichen Gruppierungen, gibt es an diesem Tag ein gemeinsames Ziel und damit auch ein gemeinsames Feindbild, wie Detlef Müller (SPD) beschreibt: „Alle, die auf der anderen Seite der Stadthalle oder des Parks standen – also wir – waren ihre Gegner.” Ob jemand aus der Linkspartei, eine grüne Jugend, ein SPD-Politiker, Gewerkschafter oder einfach nur eine Familie, sei völlig egal. „Die wollten Angst verbreiten, das haben sie auch geschafft”, schließt Müller daraus. „Sie sind gerannt und haben gezeigt, was sie können – und wie viel.”

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Im Gegensatz zum Vortag waren zudem viele Journalisten vor Ort. Johannes Grunert, ebenfalls Journalist, berichtet im Interview von Angriffen, von denen auch er selbst betroffen war:

Die Zusammensetzung der rechten Demonstration unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich zum Montag: Im Gegensatz zu Johannes Grunerts Einschätzung, dass am Sonntag die Teilnehmenden hauptsächlich aus dem regionalen Umfeld stammten, kommen an diesem Tag viele Demonstrierende auch aus anderen Bundesländern angereist. „Während der Anreisephase war festzustellen, dass insbesondere die Versammlung der Bürgerbewegung Pro Chemnitz regen Zulauf von Teilnehmern aus Berlin, Brandenburg, Thüringen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bekam“, bestätigt die Medieninformation der Polizei. Unter ihnen seien einige gewesen, die dem rechten Spektrum und der gewaltbereiten Fußballszene zuzuordnen wären. 

Weiterhin beschreibt das Innenministerium in Antwort auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) die Zusammensetzung der Demonstration wie folgt: „An der Demonstration am 27. August 2018 beteiligten sich nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch Vertreter der parteiungebundenen sowie der parteigebundenen rechtsextremistischen Szene, darunter Mitglieder und Anhänger der Partei „Der Dritte Weg”, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, der Jungen Nationalen, der Partei „Die Rechte”, einzelne Neonationalsozialisten sowie Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene.“ Man habe in der Versammlung Fans der Fußballvereine Energie Cottbus, Rot Weiß Erfurt, LOK Leipzig, FC Wismut Aue und des Chemnitzer FCs feststellen können.

Doch trotz der unterschiedlichen Gruppierungen, gibt es an diesem Tag ein gemeinsames Ziel und damit auch ein gemeinsames Feindbild, wie Detlef Müller (SPD) beschreibt: „Alle, die auf der anderen Seite der Stadthalle oder des Parks standen – also wir – waren ihre Gegner.” Ob jemand aus der Linkspartei, eine grüne Jugend, ein SPD-Politiker, Gewerkschafter oder einfach nur eine Familie, sei völlig egal. „Die wollten Angst verbreiten, das haben sie auch geschafft”, schließt Müller daraus. „Sie sind gerannt und haben gezeigt, was sie können – und wie viel.”

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

„Kapitulation des Rechtsstaates vor den Rechten”

Es ist mittlerweile gegen 20:00 Uhr. Der rechte Aufzug setzt sich laut Polizei in Bewegung. Detlef Müller (SPD) beschreibt im Interview die Reaktionen: „Alle Welt hat gesagt: ‚Ihr könnt die nicht laufen lassen, die dürfen nicht laufen, das muss blockiert werden. Die können unmöglich durch die Stadt laufen.‘“ Doch die Beamten hätten sich für das kleinste Übel entschieden. „Die Polizei hat dann gesagt: ‚Doch, wir müssen die laufen lassen, um die Lage nicht eskalieren zu lassen‘“, fährt Müller fort, „Die haben sie lieber laufen lassen, damit nicht noch mehr passiert. Das war so ein bisschen Kapitulation des Rechtsstaates vor den Rechten. Das war schon bitter.“

In der folgenden Stunde marschieren die rechten Demonstrierenden durch die Chemnitzer Straßen. Immer wieder kommt es zu Gewalt: Rechte stürmen das „Terminal 3” in der Brückenstraße und vertreiben die Demonstrierenden der Gegenseite, es kommt zu Handgreiflichkeiten. Polizei ist laut Live-Ticker der Freien Presse noch nicht in Sicht. Danach verbarrikadieren sich dort, nach Polizeiangaben, 35 Personen, die inzwischen angekommene Polizei muss Pfefferspray einsetzen. Die Pressemitteilung der Polizei ist mit Straftaten in dieser Stunde gut gefüllt. Die Live-Ticker der Medien laufen heiß und es geht im Zehn-Minuten-Takt weiter: Aus den Gebäuden entlang der Marschroute fliegen Flaschen und Pyrotechnik, 15 Rechte stürmen ein Haus in der Theaterstraße. Und die ersten Demonstrierenden vermummen sich: Zum einen einige Teilnehmenden an der Spitze des rechten Aufmarsches, zum anderen zählt die Polizei auf der linken Seite 200 Vermummte. Die Beamten bringen dies sofort zur Anzeige – und der Marsch ist noch lange nicht vorbei. Der rechte Demonstrations-Zug ist inzwischen am Falkenplatz angekommen und die Teilnehmenden skandieren: „Hier marschiert der nationale Widerstand” oder frei, sozial und national”. Der Aufzug zieht weiter, zurück Richtung Karl-Marx-Monument. Sie kommen der linken Seite näher – sofort fliegen erneut Gegenstände durch die Luft.

Gegen 21 Uhr ist der rechte Aufzug wieder an seinem Ausgangspunkt. Nach einer Abschlusskundgebung und dem Singen der Nationalhymne, löst sich die Versammlung laut MDR langsam auf. Auch die Gegendemonstration kommt zum Ende. Die Polizei sei damit beschäftigt, Eskalationen zwischen den beiden Lagern zu vermeiden. In den Tagesthemen um 22.15 Uhr berichtet Reporterin Susann Reichenbach aus Chemnitz: „Der Einsatz der Polizei ist noch nicht beendet, der Hubschrauber kreist immer noch und es sind mehrere Polizeiwagen, die hier immer noch patrouillieren.” Sie eskortieren Leute in Richtung Bahnhof und Parkplätze, was auch zeige, dass es nicht nur Chemnitzer waren, sondern auch Menschen aus mehreren Bundesländern gewesen seien, die heute hier auf die Straße gegangen sind. Wie aus Informationen der Polizei hervorgeht, verlief die Eskorte nicht ohne Zwischenfälle. „Im Anschluss kam es während der Abreisephase immer wieder zu Versuchen gegenseitiger Angriffe”, heißt es in den Medieninformationen der Polizei, „Auch diese konnten größtenteils nur durch konsequentes Handeln der Einsatzkräfte unterbunden werden.”

Die Demonstrationen sind zwar inzwischen beendet, die Polizeihubschrauber kreisen aber immer noch über die Chemnitzer Innenstadt und überwachen die Abreise der Menschenmasse. Doch die Ruhe trügt. Einen Kilometer vom Karl-Marx-Monument entfernt, an dem ein Stadtrat vor eineinhalb Stunden die jubelnde Menge aufgefordert hat, Bürgerwehren zu bilden, greifen zwölf schwarz gekleidete Neonazis ein jüdisches Restaurant in der Heinrich-Zille-Straße an. Es fliegen Flaschen, Steine und ein abgesägtes Stahlrohr. Ein Stein trifft Besitzer Uwe Dziuballa an der Schulter und verletzt ihn. „Hau ab aus Deutschland, du Judensau”, rufen die Angreifer. Das ist nicht der erste antisemitisch-motivierte Angriff in Chemnitz, erzählt Uwe Dziuballa im Video-Interview:

Die Polizei wird erst Tage später die Schäden aufnehmen und Angriffsgegenstände sicherstellen, aber nach seinem Notruf an diesem Montag laut Zeit Online schnell vor Ort sein. Sie kennen die Route zum Restaurant gut – und dessen Besitzer ebenfalls. Das hat seine Gründe, wie er später im Interview erzählen wird. Einer davon: Morddrohungen.

Bildquelle: De Havilland | https://flic.kr/p/Nx6235 | CC BY-NC 2.0

„Kapitulation des Rechtsstaates vor den Rechten”

Es ist mittlerweile gegen 20:00 Uhr. Der rechte Aufzug setzt sich laut Polizei in Bewegung. Detlef Müller (SPD) beschreibt im Interview die Reaktionen: „Alle Welt hat gesagt: ‚Ihr könnt die nicht laufen lassen, die dürfen nicht laufen, das muss blockiert werden. Die können unmöglich durch die Stadt laufen.‘“ Doch die Beamten hätten sich für das kleinste Übel entschieden. „Die Polizei hat dann gesagt: ‚Doch, wir müssen die laufen lassen, um die Lage nicht eskalieren zu lassen‘“, fährt Müller fort, „Die haben sie lieber laufen lassen, damit nicht noch mehr passiert. Das war so ein bisschen Kapitulation des Rechtsstaates vor den Rechten. Das war schon bitter.“

In der folgenden Stunde marschieren die rechten Demonstrierenden durch die Chemnitzer Straßen. Immer wieder kommt es zu Gewalt: Rechte stürmen das „Terminal 3” in der Brückenstraße und vertreiben die Demonstrierenden der Gegenseite, es kommt zu Handgreiflichkeiten. Polizei ist laut Live-Ticker der Freien Presse noch nicht in Sicht. Danach verbarrikadieren sich dort, nach Polizeiangaben, 35 Personen, die inzwischen angekommene Polizei muss Pfefferspray einsetzen. Die Pressemitteilung der Polizei ist mit Straftaten in dieser Stunde gut gefüllt. Die Live-Ticker der Medien laufen heiß und es geht im Zehn-Minuten-Takt weiter: Aus den Gebäuden entlang der Marschroute fliegen Flaschen und Pyrotechnik, 15 Rechte stürmen ein Haus in der Theaterstraße. Und die ersten Demonstrierenden vermummen sich: Zum einen einige Teilnehmenden an der Spitze des rechten Aufmarsches, zum anderen zählt die Polizei auf der linken Seite 200 Vermummte. Die Beamten bringen dies sofort zur Anzeige – und der Marsch ist noch lange nicht vorbei. Der rechte Demonstrations-Zug ist inzwischen am Falkenplatz angekommen und die Teilnehmenden skandieren: „Hier marschiert der nationale Widerstand” oder frei, sozial und national”. Der Aufzug zieht weiter, zurück Richtung Karl-Marx-Monument. Sie kommen der linken Seite näher – sofort fliegen erneut Gegenstände durch die Luft.

Gegen 21 Uhr ist der rechte Aufzug wieder an seinem Ausgangspunkt. Nach einer Abschlusskundgebung und dem Singen der Nationalhymne, löst sich die Versammlung laut MDR langsam auf. Auch die Gegendemonstration kommt zum Ende. Die Polizei sei damit beschäftigt, Eskalationen zwischen den beiden Lagern zu vermeiden. In den Tagesthemen um 22.15 Uhr berichtet Reporterin Susann Reichenbach aus Chemnitz: „Der Einsatz der Polizei ist noch nicht beendet, der Hubschrauber kreist immer noch und es sind mehrere Polizeiwagen, die hier immer noch patrouillieren.” Sie eskortieren Leute in Richtung Bahnhof und Parkplätze, was auch zeige, dass es nicht nur Chemnitzer waren, sondern auch Menschen aus mehreren Bundesländern gewesen seien, die heute hier auf die Straße gegangen sind. Wie aus Informationen der Polizei hervorgeht, verlief die Eskorte nicht ohne Zwischenfälle. „Im Anschluss kam es während der Abreisephase immer wieder zu Versuchen gegenseitiger Angriffe”, heißt es in den Medieninformationen der Polizei, „Auch diese konnten größtenteils nur durch konsequentes Handeln der Einsatzkräfte unterbunden werden.”

Die Demonstrationen sind zwar inzwischen beendet, die Polizeihubschrauber kreisen aber immer noch über die Chemnitzer Innenstadt und überwachen die Abreise der Menschenmasse. Doch die Ruhe trügt. Einen Kilometer vom Karl-Marx-Monument entfernt, an dem ein Stadtrat vor eineinhalb Stunden die jubelnde Menge aufgefordert hat, Bürgerwehren zu bilden, greifen zwölf schwarz gekleidete Neonazis ein jüdisches Restaurant in der Heinrich-Zille-Straße an. Es fliegen Flaschen, Steine und ein abgesägtes Stahlrohr. Ein Stein trifft Besitzer Uwe Dziuballa an der Schulter und verletzt ihn. „Hau ab aus Deutschland, du Judensau”, rufen die Angreifer. Das ist nicht der erste antisemitisch-motivierte Angriff in Chemnitz, erzählt Uwe Dziuballa im Video-Interview:

Die Polizei wird erst Tage später die Schäden aufnehmen und Angriffsgegenstände sicherstellen, aber nach seinem Notruf an diesem Montag laut Zeit Online schnell vor Ort sein. Sie kennen die Route zum Restaurant gut – und dessen Besitzer ebenfalls. Das hat seine Gründe, wie er später im Interview erzählen wird. Einer davon: Morddrohungen.

Bildquelle: De Havilland | https://flic.kr/p/Nx6235 | CC BY-NC 2.0

Der Restaurantbesitzer erstattet am Montagabend Anzeige, es wird eine von über 40 an diesem Tag sein. Das Resümee der Polizei lautet: 18 verletzte Demonstrierende sowie zwei verletzte Polizeibeamte und 43 Anzeigen – unter anderem wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Angaben bei der Anmeldung beider Demonstrationen haben mit der Realität wenig zu tun: Das Dreifache auf Seiten der Linken und sechsfache auf Seiten von Pro Chemnitz. Insgesamt stehen 591 Polizisten 7500 Demonstrierenden gegenüber. „Dennoch gelang es den Einsatzkräften, die Versammlungsfreiheit und die Sicherheit der Teilnehmer weitgehend zu gewährleisten”, sind die letzten Worte der entsprechenden Pressemitteilung der Polizeidirektion Chemnitz. Auch Innenminister Roland Wöller, sowie Parteikollege und Ministerpräsident Michael Kretschmer (beide CDU) sehen den Polizeieinsatz als erfolgreich an, wie sie auf einer Pressekonferenz am Tag danach bekanntgeben: „Die eingesetzten Beamten haben einen verdammt guten Job gemacht”, sagt Roland Wöller. Ministerpräsident Kretschmer ergänzt, dass der sächsische Staat handlungsfähig sei und weist somit Kritik, man habe Chemnitz den Rechten überlassen, zurück.

Journalist Johannes Grunert, der bei den Demonstrationen vor Ort war und auch angegriffen wurde, sieht das ganz anders:

Und noch jemand wirft der Polizei, zumindest an diesem Tag, Versagen vor: Detlef Müller, Bundestagsabgeordneter der SPD. Der 55-Jährige berichtet im Interview: „Die (rechten Demonstrierenden, Anm. d. Red.) waren ja auch doppelt so stark wie unsere Demo. Das war auch das Bittere an dem Tag: Dass wir erstmals gemerkt haben, dass wir das Ding – es ist ja kein Sport, es geht nicht um Köpfe zählen – verloren haben. Wir waren einfach nicht stark genug. Die haben uns gejagt und die Polizei war unfähig, uns zu schützen, weil die auch zu wenig waren. Die haben sich auch selber in Sicherheit bringen müssen, am Anfang zumindest.” 

Kretschmer gibt auf genannter Pressekonferenz zu, dass man die Mobilisierung unterschätzt habe. Das bestätigt auch Andrzej Rydzik, Sprecher der Polizei Chemnitz, vor Ort in einem Interview mit der Welt: „Ehrlicherweise muss man nun mal konstatieren, dass wir die Zahl letzten Endes so nicht erwartet haben. Das hängt schlichtweg auch damit zusammen, dass die Mobilisierungsaufrufe in der Hauptsache über soziale Netzwerke gesteuert wurden und wir in der kurzen Zeit, wir sprechen hier von weniger als einem Tag, eine entsprechende Auswertung gar nicht leisten konnten.”

Aber konnte die Polizei wirklich nicht wissen, was sie erwartet? Der Journalist Johannes Grunert, der sich im Zeit Online-Blog „Störungsmelder” unter anderem mit Rechtsextremismus regelmäßig auseinandersetzt, sieht das anders, wie er im Exklusivinterview sagt: Er habe auf Twitter informiert, was sich am Montag anbahnen kann. „Es war definitiv abzusehen, was dort passieren würde, ich habe angekündigt, dass es mehrere tausend Teilnehmende sein werden. Die Polizei hat, aus welchen Gründen auch immer, eine massiv falsche Einschätzung getroffen.” Der Journalist erläutert weiter, dass auch herausgekommen sei, dass die Polizei ein Angebot für Amtshilfe aus Niedersachsen ausgeschlagen und eine Warnung des Verfassungsschutzes zu spät gelesen habe. Sein Resümee: „Das macht für mich den Anschein, dass sich bei der Entscheidung bewusst zurückgehalten wurde.”

Bildquelle: Detlef Müller

Der Restaurantbesitzer erstattet am Montagabend Anzeige, es wird eine von über 40 an diesem Tag sein. Das Resümee der Polizei lautet: 18 verletzte Demonstrierende sowie zwei verletzte Polizeibeamte und 43 Anzeigen – unter anderem wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Angaben bei der Anmeldung beider Demonstrationen haben mit der Realität wenig zu tun: Das Dreifache auf Seiten der Linken und sechsfache auf Seiten von Pro Chemnitz. Insgesamt stehen 591 Polizisten 7500 Demonstrierenden gegenüber. „Dennoch gelang es den Einsatzkräften, die Versammlungsfreiheit und die Sicherheit der Teilnehmer weitgehend zu gewährleisten”, sind die letzten Worte der entsprechenden Pressemitteilung der Polizeidirektion Chemnitz. Auch Innenminister Roland Wöller, sowie Parteikollege und Ministerpräsident Michael Kretschmer (beide CDU) sehen den Polizeieinsatz als erfolgreich an, wie sie auf einer Pressekonferenz am Tag danach bekanntgeben: „Die eingesetzten Beamten haben einen verdammt guten Job gemacht”, sagt Roland Wöller. Ministerpräsident Kretschmer ergänzt, dass der sächsische Staat handlungsfähig sei und weist somit Kritik, man habe Chemnitz den Rechten überlassen, zurück.

Journalist Johannes Grunert, der bei den Demonstrationen vor Ort war und auch angegriffen wurde, sieht das ganz anders:

Und noch jemand wirft der Polizei, zumindest an diesem Tag, Versagen vor: Detlef Müller, Bundestagsabgeordneter der SPD. Der 55-Jährige berichtet im Interview: „Die (rechten Demonstrierenden, Anm. d. Red.) waren ja auch doppelt so stark wie unsere Demo. Das war auch das Bittere an dem Tag: Dass wir erstmals gemerkt haben, dass wir das Ding – es ist ja kein Sport, es geht nicht um Köpfe zählen – verloren haben. Wir waren einfach nicht stark genug. Die haben uns gejagt und die Polizei war unfähig, uns zu schützen, weil die auch zu wenig waren. Die haben sich auch selber in Sicherheit bringen müssen, am Anfang zumindest.” 

Kretschmer gibt auf genannter Pressekonferenz zu, dass man die Mobilisierung unterschätzt habe. Das bestätigt auch Andrzej Rydzik, Sprecher der Polizei Chemnitz, vor Ort in einem Interview mit der Welt: „Ehrlicherweise muss man nun mal konstatieren, dass wir die Zahl letzten Endes so nicht erwartet haben. Das hängt schlichtweg auch damit zusammen, dass die Mobilisierungsaufrufe in der Hauptsache über soziale Netzwerke gesteuert wurden und wir in der kurzen Zeit, wir sprechen hier von weniger als einem Tag, eine entsprechende Auswertung gar nicht leisten konnten.”

Aber konnte die Polizei wirklich nicht wissen, was sie erwartet? Der Journalist Johannes Grunert, der sich im Zeit Online-Blog „Störungsmelder” unter anderem mit Rechtsextremismus regelmäßig auseinandersetzt, sieht das anders, wie er im Exklusivinterview sagt: Er habe auf Twitter informiert, was sich am Montag anbahnen kann. „Es war definitiv abzusehen, was dort passieren würde, ich habe angekündigt, dass es mehrere tausend Teilnehmende sein werden. Die Polizei hat, aus welchen Gründen auch immer, eine massiv falsche Einschätzung getroffen.” Der Journalist erläutert weiter, dass auch herausgekommen sei, dass die Polizei ein Angebot für Amtshilfe aus Niedersachsen ausgeschlagen und eine Warnung des Verfassungsschutzes zu spät gelesen habe. Sein Resümee: „Das macht für mich den Anschein, dass sich bei der Entscheidung bewusst zurückgehalten wurde.”

Bildquelle: Detlef Müller

Warnung des Verfassungsschutzes

Die Warnung des Verfassungsschutzes durch einen entsprechenden Lagebericht existierte tatsächlich – und zwar bereits zur Mittagszeit. Das bestätigt der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz in Sachsen, Gordian Meyer-Plath am Dienstag. Laut MDR sagt er aufgrund „einer solchen Gemengelage – Tötungsdelikt mit einem vermutlich ausländerkriminellen Hintergrund” sei man von einer Teilnehmerzahl im kleineren bis mittleren vierstelligen Bereich ausgegangen.” Und die Behörde geht sogar noch weiter: Der Spiegel zitiert einen Sprecher des Verfassungsschutzes, der verdeutlicht, dass die Behörde wiederholt auf die Gefahr aufmerksam gemacht habe, die von einem bestimmten Personenkreis ausgeht. Welche er damit meint? „Besonders aktiv und auch am aktuellen Demo-Geschehen beteiligt ist die rechtsextremistische Hooligan-Gruppierung Kaotic aus dem Umfeld des Chemnitzer FC, die ebenfalls wie die rechtsextremistische Gruppierung NS-Boys (New Society Boys) mit ihren Aktivitäten zum Anziehungspunkt für Angehörige von neonationalsozialistischen Strukturen und subkulturellen Gruppierungen geworden ist.” Insgesamt geht der Verfassungsschutz laut dem Spiegel von 150 bis 200 Rechtsextremen in Sachsen aus.

Ob die Polizei diese Warnungen zur Kenntnis genommen hat, bleibt fraglich: Einerseits erklärte die Polizei auf Nachfrage der ARD, ebenfalls am Dienstag, dass man von der gleichen Zahl wie der Verfassungsschutz ausgegangen sei, andererseits gibt es da erneut Widersprüche: Zum einen das oben genannte Statement des Sprechers Andrzej Rydzik und zum anderen die eben erwähnte Pressekonferenz mit Kretschmer und Wöller. Auf dieser spricht Landespolizeipräsident Jürgen Georgie auch über die Erwartungen der Polizei. Im Laufe des Tages habe man die Zahl der prognostizierten Teilnehmenden verdoppelt – auf 3000. Nach Angaben der Polizei waren es schlussendlich 7.500.

Eine Diskrepanz, die auch Polizeiexperte Thomas Feltes hinterfragt: „Tatsächlich ist es so, dass vom Prinzip her die rechte Szene unter Beobachtung steht. Mir kann keiner sagen, dass die entsprechende Behörde nicht weiß, wenn sich ihre ‚Pappenheimer‘ auf den Weg irgendwohin machen“, sagt er im Interview mit der Redaktion, „Wenn sie das wirklich nicht mitbekommen haben, dann haben sie ihre Aufgabe einfach verfehlt. Wenn sie es gewusst haben, dann ist die Frage: Haben sie die Polizei vor Ort informiert?” Er wolle der Polizei in Ostdeutschland nicht attestieren, dass sie auf dem rechten Auge blind sei, aber: „Die Entwicklungen der letzten Monate haben gezeigt, dass hier offensichtlich das Fingerspitzengefühl fehlt und dass man möglicherweise da auch nicht bereit ist, mit der nötigen Konsequenz intern zu reagieren.”

Die Polizei war bei der Sicherung der unerwarteten Menschenmassen nicht zu beneiden, das sagt auch Steven Seiffert vom mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen in Chemnitz. „Das hat alle irritiert. Ich könnte mir vorstellen, dass es die konkreten Beamten vor Ort auch irritiert hat. Die haben letztendlich keinen schlechten Job gemacht, aber niemand wollte mit denen tauschen.” Er habe „absurd wenige Beamte” gesehen. Wäre es zu einer noch schwereren Eskalation gekommen, hätten sie vor allem von Hooligans überrannt werden können, so Seiffert weiter. „Da kann man sich schon die Frage stellen, was da offensichtlich in so ein Informationsloch gefallen ist, wenn es diese Information vom Verfassungsschutz an die Polizeiführung tatsächlich gegeben hat.”

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018

Warnung des Verfassungsschutzes

Die Warnung des Verfassungsschutzes durch einen entsprechenden Lagebericht existierte tatsächlich – und zwar bereits zur Mittagszeit. Das bestätigt der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz in Sachsen, Gordian Meyer-Plath am Dienstag. Laut MDR sagt er aufgrund „einer solchen Gemengelage – Tötungsdelikt mit einem vermutlich ausländerkriminellen Hintergrund” sei man von einer Teilnehmerzahl im kleineren bis mittleren vierstelligen Bereich ausgegangen.” Und die Behörde geht sogar noch weiter: Der Spiegel zitiert einen Sprecher des Verfassungsschutzes, der verdeutlicht, dass die Behörde wiederholt auf die Gefahr aufmerksam gemacht habe, die von einem bestimmten Personenkreis ausgeht. Welche er damit meint? „Besonders aktiv und auch am aktuellen Demo-Geschehen beteiligt ist die rechtsextremistische Hooligan-Gruppierung Kaotic aus dem Umfeld des Chemnitzer FC, die ebenfalls wie die rechtsextremistische Gruppierung NS-Boys (New Society Boys) mit ihren Aktivitäten zum Anziehungspunkt für Angehörige von neonationalsozialistischen Strukturen und subkulturellen Gruppierungen geworden ist.” Insgesamt geht der Verfassungsschutz laut dem Spiegel von 150 bis 200 Rechtsextremen in Sachsen aus.

Ob die Polizei diese Warnungen zur Kenntnis genommen hat, bleibt fraglich: Einerseits erklärte die Polizei auf Nachfrage der ARD, ebenfalls am Dienstag, dass man von der gleichen Zahl wie der Verfassungsschutz ausgegangen sei, andererseits gibt es da erneut Widersprüche: Zum einen das oben genannte Statement des Sprechers Andrzej Rydzik und zum anderen die eben erwähnte Pressekonferenz mit Kretschmer und Wöller. Auf dieser spricht Landespolizeipräsident Jürgen Georgie auch über die Erwartungen der Polizei. Im Laufe des Tages habe man die Zahl der prognostizierten Teilnehmenden verdoppelt – auf 3000. Nach Angaben der Polizei waren es schlussendlich 7.500.

Eine Diskrepanz, die auch Polizeiexperte Thomas Feltes hinterfragt: „Tatsächlich ist es so, dass vom Prinzip her die rechte Szene unter Beobachtung steht. Mir kann keiner sagen, dass die entsprechende Behörde nicht weiß, wenn sich ihre ‚Pappenheimer‘ auf den Weg irgendwohin machen“, sagt er im Interview mit der Redaktion, „Wenn sie das wirklich nicht mitbekommen haben, dann haben sie ihre Aufgabe einfach verfehlt. Wenn sie es gewusst haben, dann ist die Frage: Haben sie die Polizei vor Ort informiert?” Er wolle der Polizei in Ostdeutschland nicht attestieren, dass sie auf dem rechten Auge blind sei, aber: „Die Entwicklungen der letzten Monate haben gezeigt, dass hier offensichtlich das Fingerspitzengefühl fehlt und dass man möglicherweise da auch nicht bereit ist, mit der nötigen Konsequenz intern zu reagieren.”

Die Polizei war bei der Sicherung der unerwarteten Menschenmassen nicht zu beneiden, das sagt auch Steven Seiffert vom mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen in Chemnitz. „Das hat alle irritiert. Ich könnte mir vorstellen, dass es die konkreten Beamten vor Ort auch irritiert hat. Die haben letztendlich keinen schlechten Job gemacht, aber niemand wollte mit denen tauschen.” Er habe „absurd wenige Beamte” gesehen. Wäre es zu einer noch schwereren Eskalation gekommen, hätten sie vor allem von Hooligans überrannt werden können, so Seiffert weiter. „Da kann man sich schon die Frage stellen, was da offensichtlich in so ein Informationsloch gefallen ist, wenn es diese Information vom Verfassungsschutz an die Polizeiführung tatsächlich gegeben hat.”

Bildquelle: Kulturbüro Sachsen 2018
Hat die Polizei wirklich zu wenig Personal geplant, oder stand einfach nicht mehr zur Verfügung? Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes versucht, mögliche Erklärungen für die geringe Anzahl zu finden: „Es ist generell so, dass sie nicht von jetzt auf gleich dutzende Polizeibeamte aktivieren können. Das glaubt die Bevölkerung häufig, dass man da hunderte Polizisten auf die Straße bringen kann. Es gibt in der Bundesrepublik ein Verhältnis von etwa einem Polizeibeamten auf 10.000 Bürger, der verfügbar ist. Selbst wenn sie alle zusammenkriegen würden, was möglich wäre, hätten sie an anderen Stellen gar keine Polizeibeamten mehr. Man kann nicht immer alles bedienen. Das wünscht sich auch niemand, sonst hätten wir nämlich einen Polizeistaat.”

Für Rafael Behr geht es vor allem darum, was bei der Einsatzplanung im Vordergrund steht. Er ist Professor für Polizeiwissenschaft an der Akademie der Polizei in Hamburg und sagt dem MDR: „Ich würde niemals Strukturreformen oder Personalpolitik als Begründung für eine falsche Lagebeurteilung akzeptieren.” Es sei eine „Frage der Prioritätensetzung, wie viele Beamte wo vor Ort sind.” Laut dem MDR-Bericht seien in Sachsen 2.100 Stellen seit 2005 abgebaut worden. 

Ob es nur am Verhalten der Polizei lag, dass die Lage so eskalierte, bleibt umstritten. Für Anne Gehrmann vom Kulturbüro Sachsen kann auch eine angespannte Grundstimmung in Chemnitz ein möglicher Katalysator gewesen sein: „Ich glaube, unterstützt wurde das ganze dadurch, dass es am ganzen Sonntag und am Montag eine relativ unklare Faktenlage gab. Zu dem Messerangriff wurde ja auch noch eine sexualisierte Gewaltstraftat dazugedichtet von rechten Playern, die auch ohne weiteres übernommen wurden von ansässigen Boulevard-Zeitungen – und dadurch auch wieder in den eher bürgerlichen Bereich gespült wurde.”

Anne Gehrmann sagt, die Demonstrationen seien zwar kein Chemnitz-Spezifikum gewesen, aber doch auch nur eingeschränkt auf andere Orte übertragbar. Ein großer Faktor: Die etablierte rechte Szene vor Ort. „Die ist ideologisch gefestigt und hat ein finanzielles Standbein mit Security-Unternehmen, mit Kampfsport. Die ist einfach da und funktioniert für sich.” Außerdem spiele die Größe der Stadt sowie die Vernetzung ins Umland, – Erzgebirge sowie Mittelsachsen – eine Rolle.

Bildquelle: Detlef Müller
Hat die Polizei wirklich zu wenig Personal geplant, oder stand einfach nicht mehr zur Verfügung? Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes versucht, mögliche Erklärungen für die geringe Anzahl zu finden: „Es ist generell so, dass sie nicht von jetzt auf gleich dutzende Polizeibeamte aktivieren können. Das glaubt die Bevölkerung häufig, dass man da hunderte Polizisten auf die Straße bringen kann. Es gibt in der Bundesrepublik ein Verhältnis von etwa einem Polizeibeamten auf 10.000 Bürger, der verfügbar ist. Selbst wenn sie alle zusammenkriegen würden, was möglich wäre, hätten sie an anderen Stellen gar keine Polizeibeamten mehr. Man kann nicht immer alles bedienen. Das wünscht sich auch niemand, sonst hätten wir nämlich einen Polizeistaat.”

Für Rafael Behr geht es vor allem darum, was bei der Einsatzplanung im Vordergrund steht. Er ist Professor für Polizeiwissenschaft an der Akademie der Polizei in Hamburg und sagt dem MDR: „Ich würde niemals Strukturreformen oder Personalpolitik als Begründung für eine falsche Lagebeurteilung akzeptieren.” Es sei eine „Frage der Prioritätensetzung, wie viele Beamte wo vor Ort sind.” Laut dem MDR-Bericht seien in Sachsen 2.100 Stellen seit 2005 abgebaut worden. 

Ob es nur am Verhalten der Polizei lag, dass die Lage so eskalierte, bleibt umstritten. Für Anne Gehrmann vom Kulturbüro Sachsen kann auch eine angespannte Grundstimmung in Chemnitz ein möglicher Katalysator gewesen sein: „Ich glaube, unterstützt wurde das ganze dadurch, dass es am ganzen Sonntag und am Montag eine relativ unklare Faktenlage gab. Zu dem Messerangriff wurde ja auch noch eine sexualisierte Gewaltstraftat dazugedichtet von rechten Playern, die auch ohne weiteres übernommen wurden von ansässigen Boulevard-Zeitungen – und dadurch auch wieder in den eher bürgerlichen Bereich gespült wurde.”

Anne Gehrmann sagt, die Demonstrationen seien zwar kein Chemnitz-Spezifikum gewesen, aber doch auch nur eingeschränkt auf andere Orte übertragbar. Ein großer Faktor: Die etablierte rechte Szene vor Ort. „Die ist ideologisch gefestigt und hat ein finanzielles Standbein mit Security-Unternehmen, mit Kampfsport. Die ist einfach da und funktioniert für sich.” Außerdem spiele die Größe der Stadt sowie die Vernetzung ins Umland, – Erzgebirge sowie Mittelsachsen – eine Rolle.

Bildquelle:Kulturbüro Sachsen 2018

Ein Haftbefehl geht viral

Die Straßen und Pressekonferenz-Räume sind inzwischen leer, die erste Bilanz ist gezogen. Während die Bürger noch über Polizeiversagen spekulieren und was nun wirklich in der Tatnacht geschehen ist, passiert das Unfassbare: Ein Dresdner Justizvollzugsbeamter fotografiert und veröffentlicht den Haftbefehl des Tatverdächtigen Youssif Abduallah – ungeschwärzt. Somit sind neben dem Namen aller Opfer und Angaben zum Tathergang auch die Adresse eines Tatverdächtigen sowie der Name des Richters zu lesen. In den kommenden Tagen kocht das Internet erneut, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Am Mittwoch gibt es erste Hausdurchsuchungen und einen Tag später ist der Schuldige gefunden: Daniel Zabel, 39 Jahre alt. Er wird vom sächsischen Justizministerium umgehend suspendiert – damit habe er gerechnet, da er Dienstpflichten verletze, ließ er am Donnerstag, den 30. August 2018, über seinen Anwalt auf Facebook verlauten. Dass er sich strafbar mache, sei ihm nicht klar gewesen.

Die taz berichtet, er habe das Foto des Haftbefehls, das im Zugangsbereich eines Gefängnis-Gebäudes lag, an Kollegen in eine WhatsApp-Gruppe, Pro Chemnitz und Freunde von Daniel Hillig geschickt. Noch ehe Zabels Anwalt, der laut übereinstimmenden Medienberichten mit Pegida in Verbindung steht, dieses Statement veröffentlichen kann, verbreitet sich der Haftbefehl vor allem am Dienstagabend und Mittwoch in den sozialen Netzwerken – insbesondere in der rechten Szene: Mitglieder der AfD, Pro Chemnitz und der Pegida-Chef Lutz Bachmann teilen das illegale Foto.

Das Pikante: Der Iraker, dessen Haftbefehl Zabel geleakt hat, wurde im Januar freigesprochen. Ganz im Gegensatz zu Daniel Zabel, der zur Stadtratswahl in seiner Heimatstadt 2019 für die AfD kandidierte. Die Staatsanwaltschaft Dresden Mitte hat im April 2019 Anklage erhoben – wegen des Haftbefehl-Leaks. Ihm drohe mindestens eine Freiheitsstrafe von elf Monaten. Während Zabel einen Monat vor seiner Anklage vor dem Gerichtssaal gegen die Flüchtlingspolitik protestiert, wie Tag24 berichtet, startet der Prozess zum Tod Daniel Hilligs, der unter anderem die Fakten klären soll, die Zabel öffentlich machte. Die Urteilsfindung, wie sich später herausstellen wird, ist alles andere als einfach. Ebenso schwer fällt es Politikern und Verantwortungsträgern, Konsequenzen aus dem Geschehenen zu ziehen – denn es geht nicht nur um Zahlen und Fakten, sondern um Gefühle und Emotionen.

Bildquelle: Detlef Müller

Ein Haftbefehl geht viral

Die Straßen und Pressekonferenz-Räume sind inzwischen leer, die erste Bilanz ist gezogen. Während die Bürger noch über Polizeiversagen spekulieren und was nun wirklich in der Tatnacht geschehen ist, passiert das Unfassbare: Ein Dresdner Justizvollzugsbeamter fotografiert und veröffentlicht den Haftbefehl des Tatverdächtigen Youssif Abduallah – ungeschwärzt. Somit sind neben dem Namen aller Opfer und Angaben zum Tathergang auch die Adresse eines Tatverdächtigen sowie der Name des Richters zu lesen. In den kommenden Tagen kocht das Internet erneut, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Am Mittwoch gibt es erste Hausdurchsuchungen und einen Tag später ist der Schuldige gefunden: Daniel Zabel, 39 Jahre alt. Er wird vom sächsischen Justizministerium umgehend suspendiert – damit habe er gerechnet, da er Dienstpflichten verletze, ließ er am Donnerstag, den 30. August 2018, über seinen Anwalt auf Facebook verlauten. Dass er sich strafbar mache, sei ihm nicht klar gewesen.

Die taz berichtet, er habe das Foto des Haftbefehls, das im Zugangsbereich eines Gefängnis-Gebäudes lag, an Kollegen in eine WhatsApp-Gruppe, Pro Chemnitz und Freunde von Daniel Hillig geschickt. Noch ehe Zabels Anwalt, der laut übereinstimmenden Medienberichten mit Pegida in Verbindung steht, dieses Statement veröffentlichen kann, verbreitet sich der Haftbefehl vor allem am Dienstagabend und Mittwoch in den sozialen Netzwerken – insbesondere in der rechten Szene: Mitglieder der AfD, Pro Chemnitz und der Pegida-Chef Lutz Bachmann teilen das illegale Foto.

Das Pikante: Der Iraker, dessen Haftbefehl Zabel geleakt hat, wurde im Januar freigesprochen. Ganz im Gegensatz zu Daniel Zabel, der zur Stadtratswahl in seiner Heimatstadt 2019 für die AfD kandidierte. Die Staatsanwaltschaft Dresden Mitte hat im April 2019 Anklage erhoben – wegen des Haftbefehl-Leaks. Ihm drohe mindestens eine Freiheitsstrafe von elf Monaten. Während Zabel einen Monat vor seiner Anklage vor dem Gerichtssaal gegen die Flüchtlingspolitik protestiert, wie Tag24 berichtet, startet der Prozess zum Tod Daniel Hilligs, der unter anderem die Fakten klären soll, die Zabel öffentlich machte. Die Urteilsfindung, wie sich später herausstellen wird, ist alles andere als einfach. Ebenso schwer fällt es Politikern und Verantwortungsträgern, Konsequenzen aus dem Geschehenen zu ziehen – denn es geht nicht nur um Zahlen und Fakten, sondern um Gefühle und Emotionen.

Bildquelle: Detlef Müller